http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0141
Damit war jegliche Verfügung über die eigenen Vermögenswerte unterbunden - mit einer
einzigen Ausnahme: wenn sie zugunsten der RJD im Zusammenhang mit dem Abschluss eines
sogenannten „Heimeinkaufsvertrages" („H") getroffen wurde (Abb. 4). Da allerdings ein solcher
Vertragsabschluss für alle „Abwanderer" obligatorisch und bei „flüssigem Vermögenswert
" von mindestens 1.000 RM vorgeschrieben war, konnte von einer freien Entscheidung
nicht die Rede sein.
Die Frage, welchen Gegenwert die Zahlenden für ihre Investition erhalten würden, wie also
das zukünftige „Heim" beschaffen sei, stand natürlich im Mittelpunkt der von den Mitarbeitern
geforderten Erklärungen. Im Rundschreiben war nur die diffuse Formel einer „Gemeinschaftsunterbringung
" in einem „Vorzugslager" zu erfahren; und der RJD obläge mit dem Geld der
Eintreffenden die Finanzierung dieser Institution. S. Alexander präsentierte dem Ehepaar Besag
daraufhin einen für sie vorgefertigten Entwurf des „H" und wies besonders auf die Gewährung
von pensionsartiger Leistung und Krankenversorgung hin. Seine Argumentation folgte
darüber hinaus der infamen Logik, in die er durch seine Auftraggeber hineingezwungen wurde
: „Da den alten Leuten die Zusicherung gegeben wurde, dass sie durch diese Einkaufsverträge
und durch eventuell zusätzliche Spenden Aussicht auf lebenslängliche angemessene Verpflegung
und Unterkunft im Altersghetto erlangten, und da sie andererseits wussten, dass ihr
Eigentum dem Reich zufalle, sobald sie deportiert worden seien, überschrieben sie bereitwillig
den größten Teil ihres Vermögens an die RV."34
Im Falle Besags einigte man sich schnell: Alle verfügbaren Geldmittel im Werte von 2.600
RM wurden als Grundlage des „Einkaufvertrages" angesetzt. Dazu gehörten das Barvermögen
bei der Dresdner Bank, ein Effektendepot mit hypothekarischen Pfandbriefen und eine Aufwertungspolice
, die alle in den Besitz der RJD übergingen. Um die Einkaufssumme von
59.700 RM zu erreichen, wurde die Beamtenpension Adolf Besags über einen längeren Zeitraum
kapitalisiert eingerechnet. Außerdem überschrieb er ihr als Spende den Rückkaufwert
einer Lebensversicherung in Höhe von 419 RM, um weniger bemittelten Juden die Möglichkeit
einer dauerhaften Heimstatt zu erleichtern.
In Ausführung ihres Auftrages suchten Alexander und Fleischhauer in den nächsten Tagen
alle betroffenen Freiburger Juden auf. Dabei bekamen sie Einblick in die sehr breite Spanne
ihrer in dieser Stadt noch verfügbaren materiellen Werte. Ungeachtet dieser Unterschiede waren
es ernste, oft verzweifelte Gespräche in banger Erwartung einer ungewissen Zukunft. Das
galt für beide Seiten; denn auch diejenigen, welche eigentlich „mit Rat und Tat zur Seite stehen
" sollten, waren sich bewusst, nur Erfüllungsgehilfen eines Systems der Unterdrückung
und Ausplünderung zu sein, das sie zwang, falsche Hoffnungen an alte Leute zu verkaufen.35
Erklärungsbedarf lag schließlich im Zusammenhang mit der Mitnahme und dem Zurücklassen
aller nicht-geldlichen Eigentumswerte vor. In einer 17-seitigen blauen „Vermögenserklärung
" als Anlage zum Rundschreiben wurde den Betroffenen zugemutet, alle nur erdenklichen
Objekte an Besitz und Vermögen aufzulisten, sofern sie nicht auf die Zwangsreise mitgenommen
oder der RJD überschrieben würden: von der Zahnbürste bis zum Sparvertrag, vom
34 Dokumente über die Verfolgung (wie Anm. 2), S. 270.
35 Es gibt eine umfangreiche Literatur über das Dilemma zwischen Verstrickung und Verantwortung, in
welches die RJD angesichts der Deportationen geraten war: Dass es also nicht möglich war, sowohl die
Vorgaben der Gestapo zu erfüllen als auch die Interessen der eigenen Mitglieder zu wahren. Siehe hierzu
Esriel Hildesheimer: Jüdische Selbstverwaltung unter dem NS-Regime. Der Existenzkampf der Reichsvertretung
und Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (Veröffentlichung des Max Gruenewald Research
and Development Funds), Tübingen 1994; Beate Meyer: Das unausweichliche Dilemma: Die
Reichs Vereinigung der Juden in Deutschland, die Deportationen und die untergetauchten Juden, in: Überleben
im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941-1945, hg. von Beate KosMALAund Claudia
Schoppmann (Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit 5), Berlin 2002, S. 273-296.
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