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und ihre Lebensformen. Allerdings führt das Ringen um Vermittlung der Komplexität und die
Betonung der analytischen Betrachtung dazu, dass sich die Texte nicht unbedingt leicht lesen.
Ende der 1990er-Jahre erschien dann die Tessiner Kantonsgeschichte.6 Die thematischen
Beiträge, orientiert an Problemen der Tessiner Bevölkerung, lassen sich gut lesen und machen
neugierig auf Vertiefungen. Im Mittelpunkt stehen politische Entwicklungen und territoriale
Veränderungen. Das Alltagsleben kommt etwas kurz, dafür finden sich als „Ersatz" viele Geschichten
einzelner Personen. Strukturgeschichtliche Hintergründe werden kaum analysiert.
Der Herausgeber der Kantonsgeschichte, Raffaello Ceschi, hat wenig später auch eine zusammenfassende
Darstellung vorgelegt.7 Sie orientiert sich zumeist an politischen und wirtschaftlichen
Ereignissen, behandelt aber auch Themen wie Bildungs- und Gesundheitswesen oder
Kinderarbeit. Flüssig erzählt, ermöglicht sie einen sinnvollen Einstieg in die Geschichte des
Tessins.
Etwa um die gleiche Zeit wurde die Kantonsgeschichte von Graubünden herausgegeben.8
Sie hat einen völlig anderen Charakter, ist nach Epochen gegliedert und folgt einem formal
einheitlichen Raster der Texte. Das erleichtert die Übersichtlichkeit und geht nicht auf Kosten
der Vielgestaltigkeit in den einzelnen Beiträgen. Diese bauen auf dem vorhandenen Forschungsstand
auf und beruhen nur in Einzelfällen auf zusätzlicher Forschung. Die Darstellung
reicht über die politische Ebene hinaus, sie soll „alle Lebensbereiche und Handlungsweisen
der Menschen" umfassen (I, 11). Zugleich ist nicht daran gedacht, ein geschlossenes Geschichtsbild
zu vermitteln. Dieser Anspruch wird vor allem für die Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert
eindrucksvoll umgesetzt. Politik-, Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte gehen
meist sinnvoll ineinander über. Im dritten Band, der das 19. und 20. Jahrhundert umfasst, werden
hingegen einzelne Themenbereiche in - durchaus sehr aufschlussreichen - Längsschnitten
voneinander getrennt, sodass deren Verflechtung nicht immer sichtbar ist. Die Geschichte seit
1945 wird in einem eigenen Artikel gestreift. Hilfreich sind in jedem Band Kurzfassungen zu
Beginn sowie knappe Ausführungen zum Forschungsstand am Schluss der einzelnen Artikel.
Dies erleichtert die Orientierung. Im vierten Band sind neben Beiträgen zur Überlieferung und
Geschichtsschreibung sowie nützlichen Übersichten, Listen und Tabellen 101 Quellen und
Materialien abgedruckt, die die Zeit von der Antike bis zu den 1990er-Jahren abdecken. Eine
mitgelieferte CD-ROM bietet zusätzliche 50 multimediale Quellen.
Wieder anders aufgebaut sind die beiden Bände, die Heidi Bossard-Borner als Beiträge zur
Luzerner Kantonsgeschichte für das ausgehende 18. und das 19. Jahrhundert verfasst hat.9 Im
Mittelpunkt steht die politische Geschichte, ergänzt durch Ausführungen zur Kirchen-, Bevöl-
kerungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Als Leser gewinnt man einen eindrucksvollen
Einblick in die innere Entwicklung des Kantons. Die Lebenswelten der Menschen geraten allerdings
weniger ins Blickfeld. Die Forschungsleistung kann insgesamt aber nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Ebenso ist im Untersuchungszeitraum die Solothurner Kantonsgeschichte
für das 19. Jahrhundert erschienen.10 Der erste Teilband ist politik- und kirchengeschichtlich
6 Storia della Svizzera italiana, 3 Bde., hg. von Raffaello Ceschi, Bellinzona 1998-2000.
Raffaello Ceschi: Geschichte des Kantons Tessin, hg. von Max Mittler, Frauenfeld u.a. 2003.
8 Handbuch der Bündner Geschichte, 4 Bde., hg. vom Verein für Bündner Kulturforschung, Chur 2000,
22005.
9 Heidi Bossard-Borner: Im Bann der Revolution. Der Kanton Luzern 1798-1831/50, Luzern/Stuttgart
1998; Dies.: Im Spannungsfeld von Politik und Religion. Der Kanton Luzern 1831 bis 1875, Basel 2008.
Angekündigt ist ein Band für das 20. Jahrhundert. Er soll von den „vier historischen Grundkategorien Politik
, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur" ausgehen und von „synchronen Zeitfenstern zu besonderen Jahren
" der Kantonsgeschichte überlagert werden (siehe Website des Kantons Luzern).
10 Thomas Wallner: Geschichte des Kantons Solothurn 1831-1914. Verfassung, Politik, Kirche (Solothurni-
sche Geschichte 4.1), Solothurn 1992; Andre Schluchter: Geschichte des Kantons Solothurn 1831-1914.
Landschaft und Bevölkerung, Wirtschaft und Verkehr, Gesellschaft, Kultur (Solothurnische Geschichte
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