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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0168
sich das individuelle Gedächtnis durch das kollektive Gedächtnis ständig verändert Man müsse
Selbstzeugnisse in der jeweiligen Lebenswelt mit ihren biografischen Wendepunkten sehen, sie
auch in die historischen Vorgänge einbetten, um zu Einsichten in die Denk- und Verhaltensweise
des Betreffenden zu kommen. Denn „Selbstzeugnisse sind in der Regel Sinnkonstruktionen, mit
denen sich die historischen Akteure Rechenschaft über ihr Leben geben" (Sch: S. 340). Wer war
nun Damianski wirklich, Lebensretter, Denunziant, Spitzel? Die Widersprüche ließen sich nicht
auflösen; am Schluss ist der Leser ebenso verunsichert wie der Autor.

Beide Bände bieten eine Vielfalt an bestens recherchierten Themen, sind spannend geschrieben
und versprechen dem Laien eine interessante Lektüre. Dem Historiker steht für die Weiterarbeit ein
umfassender Literatur- und Anmerkungsapparat zur Verfügung. Zu Recht wird man sagen können,
dass Heiko Haumann sowohl die Individualgeschichte als auch die Regionalgeschichte durch seine
Forschungen vorangetrieben und in der Geschichtswissenschaft verankert hat. „Alltags- und Regionalgeschichte
, so wie ich sie verstehe, bedeutet auf diese Weise die Untersuchung geschichtlicher
Lebenswelten, die zugleich Kommunikation zwischen Historikern und den Menschen, über die sie
arbeiten, sowie eine Kommunikation zwischen diesen und dem späteren Rezipienten beinhaltet"
(L: S. 64). Ursula Huggle

Kurt Ludwig joos: Schwieriger Aufbau. Gymnasium und Schulorganisation des deutschen Südwestens
in den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg (Veröffentlichungen der
Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg: Reihe A, Quellen 55), W.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2012, 822 S.

„...nach all der Unruhe, die die Schule, und insbesondere die höhere, erlitten hat in den letzten
Jahrzehnten", wäre „die beste Schulreform die Ruhe". Das schrieb der Bischof von Mainz 1946 an
Raymond Schmittlein, den Directeur de Veducation publique bei der Militärregierung der französischen
Zone. Kurt Ludwig Joos verwendet das Zitat in seiner Dokumentation der Lage und Entwicklung
der Gymnasien nach dem Zweiten Weltkrieg im Bereich des späteren Südweststaats. Er
bearbeitet drei Jahrzehnte Schulorganisation und Schulpolitik von 1945 bis in die 1960er-Jahre auf
der Basis intensiven Aktenstudiums in Behörden und Archiven. Ergiebig und erhellend waren seine
Besuche in den Archives de V occupation frangaise en Allemagne et en Autriche, die sich bis 2010
in Colmar befanden. Für die jüngere Vergangenheit kann er sich auf Insider-Wissen aus eigenem
Miterleben und Mitgestalten als Beamter im Kultusministerium in Stuttgart stützen. Als Fundgrube
erwiesen sich Schulfestschriften und Aufsätze zur Geschichte einzelner baden-württembergischer
Schulen, die im Anhang aufgelistet sind. Freiburg ist vierfach vertreten mit Berthold-, Friedrichs-,
Goethe- und Rotteck-Gymnasium.

Über 200 Seiten befassen sich allein mit dem Jahr 1945. Die ersten Bemühungen um den schulischen
Neubeginn fielen in die Zeit, als die Abgrenzung der Zonen noch strittig und die Intentionen
der Besatzungsmacht hinsichtlich der Bildungspolitik noch unbekannt waren. Amerikaner und
Franzosen hatten jedoch während des Krieges detaillierte Pläne erstellt, denen sie Gewicht beimaßen
als Mittel zur Umerziehung des deutschen Volkes und Anleitung zur Demokratie. Auch die
Verantwortlichen auf deutscher Seite sahen nach der sogenannten „Stunde Null" ihre Aufgabe darin
, zur Demokratie zurückzukehren, wie sie in der Weimarer Republik verwirklicht war, und den
Status quo von vor 1933 wieder herzustellen. Einvernehmen bestand in dem Wunsch, so schnell
wie möglich mit dem Unterricht zu beginnen - kein leichtes Unterfangen, allein schon angesichts
des drastischen Lehrermangels, der schon während der Kriegsjahre spürbar war und sich nun durch
die Suspendierung der Parteiangehörigen verschärfte. Der bauliche Zustand der Schulen war desolat
, viele waren durch Bombenangriffe zerstört. In Konstanz, das wegen der Nähe zur Schweizer
Grenze als sicher vor Fliegerangriffen galt, waren sämtliche Gymnasien als Lazarett genutzt. Etliche
Schulgebäude wurden von den einmarschierenden Truppen belegt.

Im anschließenden Kapitel, das bis zum Jahreswechsel 1947/48 führt, wird deutlich, was die
Siegermächte unter Re-Education verstanden: Sicherheitsgarantie die Franzosen, Massentherapie
die Amerikaner, und es zeigte sich, wie die Praxis aussehen sollte: Einheitsschule, sechsjährige
Grundschule, danach höhere Schule für alle, deren „akademischer Zweig" gleichrangig mit den

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