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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0169
eher praktischen Profilen, Hochschulbildung für die Lehrer aller Schularten, Vorrang für Französisch
bzw. Englisch im Fremdsprachenunterricht, Latein und Griechisch keinesfalls grundständig -
das waren Punkte, die ursprünglich in den Entwürfen beider Besatzungsmächte vorkamen. Der
Kampf um das Gymnasium begann umgehend. Spannend gestaltete sich die Diskussion um das
humanistische Gymnasium, das nicht erst 1933, sondern schon 1918 in die Defensive gedrängt
worden war. Es hatte unter den deutschen Bildungspolitikern gewichtige Fürsprecher wie Leo
Wohleb und Paul Fleig. Auch Georg Picht, der in den 1960er-Jahren eine prominente Rolle auf der
bildungspolitischen Bühne spielte, sah 1946 in der „Nähe zum antiken Geist [...] einen Weg in die
Zukunft". Das Jahr 1948 brachte einen Schub von Veränderungen: Rückkehr der entnazifizierten
Lehrer, Elternbeteiligung, Zulassung von Lehrerverbänden; die Währungsreform zwang auch die
Alliierten zu sparsamerer Verwaltung; man fand Zeit, um der 1848er-Revolution zu gedenken; die
Vorarbeiten zum Besatzungsstatut waren im Gange. Ausführlich berichtet Joos über Schmittleins
engagierten aber erfolglosen Kampf um die Einstufung des Bildungssektors als alliiertes Vorbehaltsrecht
. Im Kreis der Bildungschefs der vier Mächte war er inzwischen der Dienstälteste, fühlte
sich in der Zone daheim und blieb bis 1951 mit seinem Mitarbeiterstab in Mainz, ab 1949 in neuer
Funktion als Leiter der Kulturabteilung des französischen Hochkommissariats.

Mehr noch als die Gründung der Bundesrepublik 1949 bedeutete die Zusammenfassung der drei
südwestdeutschen Länder 1952 zum Bundesland Baden-Württemberg eine Zäsur in der Schulpolitik
. Die drei Länder hatten ihre eigene Prägung entwickelt und ihre eigene Verwaltung geschaffen.
Eine wichtige Errungenschaft im französisch besetzten Gebiet war das Zentralabitur, Aufgabenstellung
durch das Ministerium nach dem Vorbild des französischen Baccalaureats. Die Umsetzung
dieser niveaustabilisierenden Maßnahme vollzog sich in Baden unter Staatspräsident Leo Wohleb,
der dem Kultusbereich in Personalunion vorstand, in Württemberg-Hohenzollern unter dem Juristen
Albert Sauer. Württemberg-Baden hatte in den sieben Jahren seit Kriegsende vier Leiter des
Bildungsbereichs erlebt: Theodor Heuss, Wilhelm Simpfendörfer, Theodor Bäuerle und Gotthilf
Schenkel. Dieser wurde der erste Kultusminister des neuen Landes; er hatte seinen Dienstsitz schon
zuvor in Stuttgart gehabt und behielt seinen Mitarbeiterstab im Großen und Ganzen bei. Joos kommentiert
: „Das frühere Württemberg-Baden war zahlenmäßig also überproportional vertreten."
Ausführlich geht der Autor auf die Besetzung der Stelle des Ministerialdirektors ein: Schenkel behielt
Lothar Christmann und überging den engagierten Altbadener Paul Fleig, der an Wohlebs Seite
das Freiburger Kultusministerium geleitet hatte und sich nun in den Wartestand versetzen ließ.
Kurzzeitig hatte er auf Reaktivierung gehofft, als die CDU die Regierung übernahm und Gebhard
Müller den Liberalen Reinhold Maier ablöste. An Stellen wie dieser stützt sich Joos auf Gespräche
mit Zeitzeugen, manches Mal bis hin zu Mutmaßungen und Klatsch; unzweifelhaft hält er den Originalton
fest, vermittelt das Zeitgefühl.

Eine Leitfigur in der vorliegenden Publikation ist der Freiburger Ministerialrat Albert Kieffer,
der im Gegensatz zu Fleig in Stuttgart willkommen war und dort von 1952 bis 1966 die Abteilung
Gymnasien leitete. Joos kennt dessen Wirken nicht nur aus Akten und der Literatur, sondern auch
aus ausgiebigen Interviews, die er Ende der 1980er-Jahre führte. Frisch in Stuttgart angekommen,
erfuhr Kieffer, wie sich der Minister die Vereinheitlichung der Schulmodelle vorstellte: durch Abschaffung
des Zentralabiturs und der Oberstufenprüfung, zweier Errungenschaften der französischen
Zone. Kieffer sollte umgehend die Vorlagen dazu erarbeiten. Das Zentralabitur, das sich bewährt
hatte, konnte er retten, die Oberstufenprüfung, „mit der Fleig so große Hoffnungen verbunden
hatte" (S. 651), war er bereit aufzugeben. Dieser Hürde vor dem Übergang in die gymnasiale
Oberstufe, die den großen Zustrom zu den Universitäten bremsen und die Entstehung eines akademischen
Proletariats abwenden sollte, trauerten weder Lehrer, Schüler noch Eltern nach. Das Zentralabitur
wurde schrittweise auch im ehedem amerikanisch besetzten Norden eingeführt, das Prüfungsverfahren
unter Kieffers kompetenter Ägide ausgefeilt. Die Lehrpläne mussten nicht vereinheitlicht
werden, da bislang nur Provisorien existierten. Kieffer war der unangefochtene Fachmann
auch unter Schenkels Nachfolgern Wilhelm Simpfendörfer und Gerhard Storz.

Als Storz 1958 Paul Harro Piazolo, einen Referendar Jahrgang 1926, als persönlichen Referenten
einstellte, ahnte Kieffer nicht, dass dieser ihm einmal den Rang streitig machen sollte in der turbulenten
Ära Hahn, als - aufgeschreckt von Pichts Warnung vor der Bildungskatastrophe - ein Bün-

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