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Das Niederdorf als Ur-Endingen
Pfarrer und Heimatforscher Adolf Futterer übernahm 1972 in seinem Bändchen über Endingen
diese Idee eines Dorfes nördlich der Bahnlinie und geht dabei noch einen Schritt weiter; er erklärt
dieses Niederdorf zur Wiege Endingens überhaupt, zum „Ur-Endingen": „Der älteste Siedlungskern
war offenbar das schon längst verödete Niederdorf, welches neben der jetzigen Stadt nach
Norden zu lag." Auch für ihn scheint die Straßenlage sehr wichtig zu sein: „Auf der Römerstraße
, die vom römischen Riegel her 400 m nördlich der Eisenbahnlinie vorbeizog, kam eine Alemannensippe
unter ihrem Führer Endilo, wie er mag geheißen haben, ließ sich in nächster Nähe
nieder und baute ihre kleinen Blockhäuser aus Holz", schreibt er, als wäre er dabei gewesen.18
Neben den bereits bei Noack genannten Anhaltspunkten wie die Lage an einer Durchgangsstraße
, dem Verlauf des Dorfgrabens und der Feldwege stellt er zusätzlich siedlungsgeometrische
Betrachtungen an. Er postuliert: „Früher lief die Grenze zwischen zwei Siedlungen, wenigstens
in der Ebene, fast immer in der Mitte." Dann betrachtet er die Endinger und Forchheimer Gemarkung
und stellt fest: „Die heutige Gemarkungsgrenze (liegt) viel näher bei Forchheim." Also
liegt Endingen falsch. Und wo müsste es richtigerweise liegen? „Wenn wir die Strecke von der
Forchheimer Kirche zur Gemarkungsgrenze abmessen und dieselbe Strecke auf die andere Seite
übertragen, kommen wir zum Dorfgraben, was besagt, daß hier eine alte Siedlung sich befand."
Also da, wo das Niederdorf nördlich der Bahnlinie anzusiedeln ist (Abb. 4).19
Nun ist das Postulat, dass benachbarte Dörfer gleich weit von ihrer gemeinsamen Gemarkungsgrenze
entfernt liegen, schon höchst fragwürdig, doch lassen wir es versuchsweise gelten
und gehen einmal nach Futterers Konstruktionsanleitung vor. Dann stellen wir als erstes fest,
dass diese nicht eindeutig ist: Die Strecke von der Forchheimer Kirche bis zur Gemarkungsgrenze
kann man in verschiedene Richtungen abtragen. Wählt man die Richtung auf die spätere Stadt
Endingen, kommt man immer noch nicht zum „Niederdorf' zwischen Dorfgraben und späterer
Stadtmauer, sondern nur bis ins Gewann Winkel; was Futterer natürlich auch aufgefallen ist. An
anderer Stelle bemerkt er daher zur Gemarkungsgrenze: „Die Grenze verlief ursprünglich etwa
in der Mitte zwischen Forchheim und dem Niederdorf 0,95 : 1,20 Kilometer".20
Zum andern könnten wir den Spieß umdrehen und mit derselben Berechtigung behaupten,
das Ur-Forchheim habe woanders gelegen als das heutige Dorf. Dazu messen wir dann - Futterers
Anweisung umkehrend - von einer Endinger Kirche bis zur Gemarkungsgrenze, tragen die
Strecke auf der andern Seite ab und finden das Ur-Forchheim irgendwo im Gewann Wagrain oder
Jägerpfad.
Da es sich bei der sogenannten Landnahme der Alemannen um keine planmäßige Ansied-
lung im modernen Sinne handelte, stammen die Gemarkungsgrenzen sicher aus späteren Zeiten
, und wie auch immer die im Nachhinein entdeckten Regelmäßigkeiten bei der Besiedlung
eines Landstrichs angeblich aussehen, es handelt sich nicht um Naturgesetze. Es kann also
durchaus sein, dass sich die Endinger Alemannen an keine siedlungsgeografischen Niederlassungsregeln
gehalten haben, weil sie schon damals die Vorteile einer leicht erhöhten Lage zu
schätzen wussten. Eine alemannische Siedlung nördlich der späteren Bahnlinie lässt sich so
jedenfalls nicht nachweisen.
Adolf Futterer: Endingen. Seine Beziehung zum Kloster Einsiedeln / Stadtgründung / St. Martinskirche
und anderes, Endingen 1972, S. 1.
Ebd., S. 2.
Adolf Futterer: Forchheim. Sein Boden bis zur Gründung des Dorfes, das Werden seiner Gemarkung, o.
J. (ca. 1964), S. 10.
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