http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0052
In diese Zeit fiel, dass Liebmann die Geschäftsführung des Hotels übernahm. Um den religiösen
Bedürfnissen der Gäste entgegenkommen zu können, wurde ein Betsaal, eine „Schul", eingerichtet
, dessen Ausstattung als einfach, aber würdig bezeichnet wurde. Der Thoraschrank, die
prächtigen „Proches", die „Sidurim" waren von opferwilligen wohlhabenden Gästen gespendet
worden.43 Alles schien auf eine glückliche Zeit hinzuweisen, da verstarb Liebmann, zehn Jahre
nach seiner Heirat nach kurzer Krankheit am 22. Januar 1886 nachts um 11 Uhr im Alter von 37
Jahren. Zwei Tage später wurde er beerdigt. Auf seinem Grabstein (Grab Nr. 99) steht:
„Hier liegt begraben ein Mann. Er war ohne Makel gegangen, hat fromm in seinem Glauben
gelebt, hat Gerechtigkeit und Geradheit geliebt, hat Gutes getan den Nahestehenden und
auch den Fremden, der Herr Jomtov, Sohn des David ha-Levi, Mohel und Schochet.
Gestorben am Freitag 16. Schewat, begraben am Sonntag 18. Schewat
646 nach der kleinen Zählung.44
Seine Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens."
Nur wenige Monate später ereignete sich in der Familie ein weiterer Todesfall. Die jüngste
Tochter, Ida, die bei Liebmanns Tod noch ein Säugling gewesen war, starb elf Monate nach ihrer
Geburt am 10. August 1886.
Fanny musste nach diesen Schicksalsschlägen ein schweres Erbe mit viel Mut und Umsicht
antreten. In den Jahren zuvor war schon der Hotelbetrieb immer in den Wintermonaten eingestellt
gewesen. So hatte sie noch Zeit für die Familie und für die Vorbereitung der neuen Saison. Es gelang
ihr, sowohl einen Schochet einzustellen, als auch jemanden für die Leitung der Gottesdienste
zu finden. 1889 inserierte sie in der Zeitschrift „Der Israelit", dass sie auch dieses Jahr wieder
einen eigenen Schochet engagiert habe, der sowohl Großvieh als auch Kleinvieh Schächten würde
und der die Autorisation dazu von den Herren Rabbinern (es folgen zwei Namen) habe. Sie
unterzeichnete mit: Es empfiehlt sich die Eigentümerin Liebmann Levy Mager Witwe.45
In rasch aufeinanderfolgenden Anzeigen der folgenden Jahre warb Fanny mit eigenem orthodoxen
Schochet, von anerkannt berühmten Herren Rabbinern geprüft, mit Gottesdienst im
Hause, eigener Schul, russischem Schochet und Chassen (Kantor), mit besten Gelegenheiten
zum Abhalten von Hochzeiten, mit Hotelwagen am Bahnhof usw. Die Werbung für das Hotel in
der damals sehr verbreiteten Zeitschrift „Der Israelit" war erfolgreich (Abb. 7).
Es kamen Gäste nicht nur aus dem Reich, insbesondere aus dem vor kurzem annektierten
Elsass-Lothringen, sondern auch aus der Schweiz, aus Frankreich, aus Österreich-Ungarn und
dem zaristischen Russland.46 Sie suchten Erholung und Genesung und es gab Gäste, die ihre
letzten Erdentage hier verbrachten und auf dem jüdischen Friedhof in Müllheim begraben sind.47
Um den Komfort des Hotels zu verbessern, veranlasste sie immer wieder bauliche
Veränderungen. Eine der auffälligsten war die Vergrößerung des Speisesaals durch einen
Terrassenvorbau, der zur Straße, also nach Norden, vollständig verglast und in die Natur einbezogen
war. Da die gegenüberliegende Straßenseite noch unbebaut war, bot sich eine herrliche
Aussicht über das Weilertal hinweg zum Schwarzwald, eine „belle vue", die dem Hotel dann
auch den Namen gab.
www.alemannia-judaica.de (wie Anm. 34). Aus einem Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit". „Proches"
bezeichnen Thoraschrankvorhänge, „Sidurim" sind Gebetbücher.
D.i. 22. Januar 1886 (Sterbedatum), 24. Januar 1886 (Begräbnisdatum).
www.alemannia-judaica.de (wie Anm. 34). Aus der Zeitschrift „Der Israelit" vom 27. Mai 1889.
Deutsche Nationalbibliothek Leipzig, ZC 4876 „Kurzeitung Badenweiler: Fremdenliste der Gemeinde-
Kurverwaltung Badenweiler [...]" Ebenso im Gemeindearchiv Badenweiler.
Jüdischer Friedhof Müllheim: Gräber Nr. 150, 164, 194, 234, 244, 264, 284 und 288f.
50
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0052