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Die sechste und siebte Generation
Badenweiler Linie: Jaakov bar Jomtov ha-Levi
Die Verfolgungen der Juden zwischen 1933 und 1945 betrafen beide Generationen gleichermaßen
und im selben Zeitraum, sodass es angemessen ist, ihre Schicksale gemeinsam in aller Kürze
zu beschreiben.50
Als Liebmann am 22. Januar 1886 starb, war Julius noch nicht einmal ganz neun Jahre
alt, seine Schwester Emma war acht und Flora erst fünf Jahre alt. Natürlich hatten die Kinder
Kindermädchen, aber da das Hotel ein Familienbetrieb war und der Sabbat und die vielen Feste
gemeinsam mit den Gästen gefeiert wurden, kamen sie mit ihnen auch zusammen.
Je älter die Kinder wurden, desto größer wurde ihre Neugier, mit den Weithergereisten in
Berührung zu kommen, zumal unter ihnen, wie der Dichter Scholem Alejchem, sehr interessante
Personen waren. Es wundert nicht, dass sie dadurch zu einer gewissen Weltoffenheit gelangten
und später ihre Ehepartner nicht mehr unter den Töchtern und Söhnen der Müllheimer Landjuden
suchten. Julius wurde am 25. März 1912 mit Celine Levy verheiratet. Sie war am 11. Dezember
1892 in der lothringischen Stadt Sarrebourg geboren, war Französin und Julius und die gemeinsamen
Kinder nahmen nach dem Ersten Weltkrieg ebenfalls diese Staatsangehörigkeit an. Zuvor
war für Julius Schwester Emma am 23. Januar 1905 die Ehe mit Jules Guthmann aus Straßburg
arrangiert worden, am 21. Oktober 1917 dann die Ehe für Flora mit Edouard Rosenstiel.51
Julius und Celine hatten vier Kinder. Am 10. Februar 1913 wurde Julie in Badenweiler geboren
, am 28. März 1914 Marguerite (genannt Gretel), am 19. September 1918 Gertrude und am
29. August 1928 Louis Liebmann, der, wiederum der Familientradition folgend, den Namen des
verstorbenen Großvaters erhielt. Julie und Marguerite besuchten die Realschule in Müllheim.
Nach der Mittleren Reife wechselten sie an die Mädchenoberrealschule Freiburg52, wo sie 1931
bzw. 1933 ihr Abitur ablegten.
Julie ging nach dem Abitur 1931 zur Berufsausbildung nach Mulhouse. Marguerite, die
Pharmazie studieren wollte, wurde aus rassischen Gründen der Hochschulzugang in Deutschland
verwehrt. Sie blieb, wie ihre jüngeren Geschwister im Hotel in Badenweiler.
Aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze wurden außer dem „Bellevue" die anderen
Hotels in Badenweiler von der Ortsgruppenleitung der NSDAP und dem Bürgermeisteramt
unter Druck gesetzt, keine jüdischen Gäste mehr aufzunehmen. Auch vom Kurbetrieb wurden
diese ausgeschlossen, sodass sie sich genötigt sahen, ob sie nun religiös waren oder nicht, im
„Bellevue" Aufenthalt zu nehmen. Dadurch ergab sich die paradoxe Situation, dass von 1933
bis 1937 das Hotel so viele Ubernachtungen hatte, dass seine Durchschnittsbelegung über der
der anderen Hotels lag. 1937 konnten im „Bellevue" zum letzten Mal Gäste aufgenommen werden
, da ab der Saison 1938 der Ort für die Aufnahme von Juden gesperrt wurde. Damit war der
Familie Levi Mager in Badenweiler die Existenzgrundlage entzogen.53
Während des Pogroms am 10./11. November 1938, als die Fensterscheiben des Speisesaals
eingeschlagen wurden, soll Julius dem Schlägertrupp zugerufen haben, sie mögen ruhig alles
kurz und klein schlagen, denn er habe das Hotel bereits verkauft. Eine Woche später emi-
Ausführliches dazu in Schuhbauer (wie Anm. 2), Kapitel „Mit Rücksicht auf den zu erwartenden Besuch
ausländischer Gäste" und „Ein Sechsmädelhaus".
Flora starb ein Jahr nach der Hochzeit an der sogenannten „Spanischen Grippe", die am Ende des Ersten
Weltkriegs in Westeuropa grassierte.
Heute Goethe-Gymnasium.
StAF, F 196/1, Nr. 3146.
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