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Dann ist erst wieder der Jahrgang 1788 verfügbar. Das Blatt nannte sich nun
„Vorderösterreichische Provinzialnachrichten". Hier ergab sich eine völlig andere Lage: Mit der
ersten März-Ausgabe begannen die Suchaufrufe nach verschwundenen jungen Männern. Den
Auftakt machte die Gemeinde Riegel. Sie fahndete nach den drei Bürgersöhnen Michael und
Joseph Birckle sowie Anton Wahl. Diese waren im Vorjahr bereits konskribiert, also erfasst worden
und hatten sich danach „heimlich entfernt". Sie sollten sich innerhalb von drei Monaten
melden. Ab August 1788 häuften sich die amtlichen Suchanzeigen zusehends.
Die verwendeten Formulierungen machen es nicht einfach, den Grund für das Verschwinden
der jungen Leute bzw. die Suche nach ihnen mit der Verweigerung des Kriegsdienstes in
Verbindung zu bringen. Meist wird nur mitgeteilt, dass gewisse Personen sich unerlaubt entfernt
hätten, ausgewandert oder seit mehr als drei Jahren abwesend seien. Manchmal scheint
bekannt zu sein oder es wird zumindest gemutmaßt, dass der eine oder andere Flüchtling in
fremde Kriegsdienste getreten ist. Oft werden mehrere der soeben genannten Kategorien in
der Suchanzeige zusammengefasst, sodass eine persönliche Zuordnung ausscheiden muss.
Eine Formulierung mit unzweifelhaftem Militärbezug, wie: „[...] bey der [...] anbefohlenen
Rekroutenaushebung [...] vorsetzlicher Weis entflohen",12 ist eher selten anzutreffen. Der Begriff
„Deserteur" kommt 1788 im Oberamt Breisgau genau zweimal vor.
Von den insgesamt 278 in diesem Jahr und in diesem Bezirk wegen unerlaubter Abwesenheit
gesuchten Personen wurde nach 272 (98 %) sicher oder wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem
Militärdienst gefahndet. Jeweils drei Personen hatten sich wegen eines anderen Vergehens oder aus
sonstigen Gründen abgesetzt. Unter den Gesuchten befanden sich übrigens nur zwei Frauen.
Das folgende Jahr 1789 brachte eine erhebliche Steigerung derjenigen jungen Männer, die
per öffentlichem „Vorladungsedikt" zur Rückkehr aufgefordert wurden. Von den nunmehr 490
ausgeschriebenen Personen war bei 475 (97 %) ein erkennbarer oder zumindest naheliegender
Militärbezug zu konstatieren. Ein in dieser Hinsicht unsicherer Zusammenhang traf auf vier
(knapp 1 %) Gesuchte zu.
Der sich steigernde Widerwille der Bevölkerung nach den für Österreich wenig rühmlichen
Ergebnissen des ersten Kriegsjahres, die detaillierte Kriegsberichterstattung in den
„Vorderösterreichischen Provinzialnachrichten", auch wenn sie sich zweifellos kaiserlich-loyal
äußerte, sowie umlaufende Gerüchte werden kaum die Lust auf Teilnahme an den unzähligen
Scharmützeln oder größeren Gefechten gesteigert haben, selbst wenn die Verluste auf österreichischer
Seite im Vergleich zu denjenigen auf türkischer Seite wesentlich geringer ausfielen.13
Dafür erkrankten in der sumpfigen Gegend von Semlin, heute ein Stadtbezirk von Belgrad, von
Anfang Juni 1788 bis Ende Mai 1789 rund 172.000 Soldaten vor allem an Fieber und Ruhr, von
denen 33.000 starben. Das war ein Mehrfaches an Toten als es im direkten Kampfgeschehen
gegeben hatte.14
Eine letzte umfangreiche Liste mit den Namen von 141 Freiburgern, die unbefugt oder wenigstens
zu lange abwesend waren, beschloss Ende Juni 1789 die Aufrufe der Obrigkeit zur
Rückkehr für dieses Jahr. Es gab jedoch keinerlei Anreiz, sich bei den Behörden zu melden. Die
Schonfrist der Amnestie war inzwischen abgelaufen, also erwartete reumütige junge Männer
nicht nur eine zusätzliche Bestrafung, sondern vor allem das, was sie eigentlich unter allen
Umständen verhindern wollten, nämlich den Einzug zum Militär. Damit waren schon weit geringere
Vergehen geahndet worden, wie die Zeitung berichtete: „Alle diejenigen in Wien, die spät
Vorderösterreichische Provinzialnachrichten, XCII. Stück, vom 15. November 1788, S. 920.
Vgl. hierzu die Verlustangaben in: Militär-Historisches Kriegs-Lexikon (1618-1905), hg. von Gaston
Bodart, Wien/Leipzig 1908, S. 263ff.
Vgl. Ammerer (wie Anm. 3), S. 64.
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