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Landwirte oder in Düngergruben zu pumpen.37 Trotz allem Enthusiasmus für diese Art der
Fäkalienbeseitigung kam es jedoch vermutlich nie zur Ausführung dieses Projektes, welches
einige Investitionen erforderte und z. B. in Stuttgart aufgrund von Absatzschwierigkeiten zu
jener Zeit bereits als finanziell gescheitert angesehen werden musste.38 Zudem wurde schon bald
deutlich, dass das städtische Kanalisierungsprojekt, welches seit 1881 systematisch betrieben
wurde, einer umfassenden Umstrukturierung bedurfte, was wiederum durchgreifende Folgen für
die Fäkalienabfuhr haben sollte.
Die Kanalisierung
Bedenkt man, mit welcher Selbstverständlichkeit jahrhundertelang die Fäkalien in der Stadt in
Abortgruben gelagert und nur unregelmäßig geleert wurden, so erstaunt die Geschwindigkeit, mit
welcher seit 1868 in Freiburg zunächst eine geregelte Abfuhr eingerichtet wurde, wenige Jahre
später aber bereits Planungen zu einer Tiefkanalisation begannen, welche das alte Grubensystem
zusehends als eine zivilisatorische und hygienische Unmöglichkeit erscheinen ließen.
Eine Schwemmkanalisation kannte man bereits im antiken Rom. Danach kam diese bautechnisch
relativ aufwändige Weise der Abwasserentsorgung außer Gebrauch. Erst ab Mitte des
19. Jahrhunderts zwang das durch die Industrialisierung bedingte rasche Wachstum der Städte
zu einer leistungsfähigen Entsorgung der gleichermaßen anwachsenden Abfallmengen jeglicher
Art. Erst jetzt entstand ein allgemeines Bewusstsein dafür, wie rückständig der Umgang mit den
Fäkalstoffen im Vergleich zu anderen Bereichen des modernen Lebens war. Ein Zeitgenosse
schrieb 1867: „Während in allen übrigen Zweigen menschlicher Thätigkeit eminente Fortschritte
erzielt sind, welche gerade unser Jahrhundert ruhmreich illustrieren, sehen wir dagegen über die
Frage, auf welche Weise die Auswurfsstoffe städtischer Bevölkerungen in einer für die Gesundheit
zweckmäßigsten und dem städtischen Comfort am meisten passenden Weise aus dem Bereich der
Städte zu entfernen sind, ohne der Nachbarschaft zu Klagen Anlass zu geben und ohne die Flüsse
zu verderben, noch eine vollständige Confusion herrschen."39 Zudem standen sich die Vertreter
landwirtschaftlicher Interessen als Verfechter des bisherigen Grubensystems auf der einen sowie
Ärzte und Hygieniker als Vorkämpfer für reine und gesunde Städte auf der anderen Seite jahrzehntelang
erbittert gegenüber: „[Es sind] die Agrikulturchemiker und National-Oekonomen,
welche mit wichtiger Miene fordern, daß der städtische Dünger gänzlich der Landwirthschaft
wieder zufließe, und welche einer Vergeudung desselben mit der Prophezeiung entgegentreten,
daß dann die Landwirthschaften schließlich verarmen müßten und außer Stande geriethen, die
steigende Population kommender Zeiten zu ernähren [...] Reine Luft, Gesundheit und Comfort
der Städtebewohner kämen dann erst in zweiter Linie."40
Beschleunigt wurde die Entscheidung für den Aufbau eines Kanalsystems in Freiburg zum einen
durch ein 1874 für Baden erlassenes Gesetz, welches an die Beschaffenheit der Abortgruben
höhere Anforderungen stellte als bisher und wasserdurchlässige Senkgruben verbot41, zum anderen
durch die rasch steigende Zahl von an das städtische Wasserleitungsnetz angeschlossener
Häuser. Durch die Erschließung neuer Wasservorkommen bei Ebnet in den Jahren 1874
Vgl. Vorlage des Stadtrathes 1888 (wie Anm. 36), S. 4.
Zu Stuttgart vgl. Hösel (wie Anm. 25), S. 200f.
Hubert Grouven: Kanalisation oder Abfuhr?, Glogau 1867, S. 6.
Ebd., S. Ii.
Vgl. Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden, 8.7.1874, Nr. XXVIII, S. 353.
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