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Auch Rechtsanwalt Marbe ging davon aus, dass er seine Mission erfolgreich erfüllt habe: Es
hat mich mit Befriedigung erfüllt, schrieb er am 1. März 1922 an den Ehrenstetter Bürgermeister,
dass es gelungen war, auf der Grundlage freundlicher Uebereinkunft einen beiderseits befriedigenden
Ausweg gefunden zu haben.26 Doch nicht lange nach der Besprechung vom 7. Februar 1922
wurde klar, dass sich die Herren Sester und Marbe zu früh gefreut hatten. Am 16. Februar nämlich
schrieben die weltlichen Mitglieder des Ehrenstetter Stiftungsrats - also alle mit Ausnahme
von Pfarrer Fritz - einen Brief an das Erzbischöfliche Ordinariat, in dem sie behaupteten, daß die
Beschlußfassung des Stiftungsrates und der Kirchengemeindevertretung vom 7. Februar nur auf
Grund vollständiger unrichtiger Darstellung der Sach- und Rechtslage zustande gekommen sei.27
Dies sei, so bemerkte Dr. Sester scheinbar völlig ungerührt, nach dem Verlauf der Verhandlung
nicht verständlich. Rechtsanwalt Marbe, dem Sester den Brandbrief aus Ehrenstetten gezeigt hatte,
reagierte nicht ganz so emotionslos. Es befremde ihn sehr, schrieb er in dem eben schon erwähnten
Brief vom 1. März 1922 an Bürgermeister Barth, dass die weltlichen Mitglieder des Stiftungsrats
an die Kirchenbehörde ein Schreiben voll schwerer Anklagen geschickt haben, die sich teilweise
auch gegen ihn richteten. Er wolle sich, fuhr er fort, allen Ernstes verwahren davor, dass gegen
mich in dieser Sache irgend welche Vorwürfe erhoben werden. Noch einmal betonte Marbe, die
Gemeinde Ehrenstetten habe keinen Rechtsanspruch auf die Errichtung einer eigenen Pfarrei,
ganz unabhängig davon, wie nötig oder unnötig dies sei. Möglich sei eine Pfarreigründung dann
- und nur dann - wenn der Friede dadurch nicht gestört wird. Insofern habe derjenige, der neuerdings
in durchaus unrichtiger Weise Ratschläge erteilt und das Schreiben an die Kirchenbehörde
veranlasst hat, nach seiner, Marbes Ansicht, ganz unverantwortlich gehandelt.2*
Auch Joseph Sester, der zuständige Mann im Ordinariat, der von Bürgermeister und
Stiftungsräten noch heftiger angegriffen worden war, blieb keineswegs auf Dauer so gelassen
, wie er sich zunächst gegeben hatte. Zunächst unternahm er zwar noch einen Versuch, alle
Beteiligten an den Verhandlungstisch zurückzubekommen, indem er am 6. März 1922, also rund
drei Wochen später, die Ehrenstetter Stiftungsräte dazu aufforderte, ihre Behauptungen zu beweisen
oder zurückzunehmen.29 Nachdem allerdings ein paar Tage danach Pfarrer Fritz berichten
musste, dass die weltlichen Stiftungsräte sich weigerten, irgend etwas zurückzunehmen, hatte
Sester endgültig genug:30
Es wird deshalb notwendig sein, schrieb er am 21. März 1922 an das Erzbischöfliche
Ordinariat, gegen die weltlichen Mitglieder des Stiftungsrates Ehrenstetten disziplinär
einzuschreiten oder denselben zu eröffnen, daß die Kirchenbehörde aus ihrer Haltung
entnommen habe, daß sie nicht bereit seien, die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für
die Errichtung der Pfarrei Ehrenstetten zu erfüllen, und daß die Lösung dieser Frage
damit durch ihr Verschulden auf unabsehbare Zeit unmöglich geworden sei.
An dieser Stelle ist es angebracht, diesen Herrn Dr. Sester kurz vorzustellen, der in der
Frage der Errichtung einer Pfarrei in Ehrenstetten eine so zentrale Rolle gespielt hat (Abb. 4).
Sester, von dem das Erzbischöfliche Archiv Freiburg kein vernünftiges Foto, sondern nur das
Sterbebildchen besitzt, ist eine höchst interessante und dabei auch tragische Gestalt:31 Auffällig
Ebd., Schreiben vom 1. März 1922.
Ebd., Schreiben vom 16. Februar 1922.
Ebd., Schreiben vom 1. März 1922.
Ebd., Schreiben vom 6. März 1922 (auch erwähnt in Aktenvermerk vom 21. März 1922).
Ebd., Schreiben vom 16. März 1922 (auch erwähnt in Aktenvermerk vom 21. März 1922).
Vgl. zum Folgenden EAF, Priesterkartei. Joseph Sester (1877-1938). Weitere Informationen sind der
Personalakte J. Sester (f 1938) entnommen.
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