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meldeamt um 1950 und den Ermittlungsbehörden 1958 muss entgangen sein, dass diese Adresse
für die angegebene Zeit gar nicht stimmen konnte. Dass der offizielle Straßenname bereits seit
1938 Sonnhalde lautete, kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. Es hätte nur
eines Blickes in die Freiburger Adressbücher bedurft, um festzustellen, dass die erstmals im
Jahr 1936 ausgewiesene Sonnhaldestraße anfänglich nur aus vier Wohnhäusern bestand und erst
in den folgenden zwanzig Jahren langsam den Hang aufwärts erschlossen und bebaut worden
war.14 In den zur Rede stehenden Jahren 1943 und 1944 hatte es das Haus Sonnhalde Nummer
87 jedenfalls noch gar nicht gegeben; es ist erstmals im Adressbuch 1954 zu finden und wurde
frühestens im Jahr 1953 gebaut und bezogen. Dass dies in Freiburg übersehen wurde und als Fehler
in die zwei Haftbefehle 1959 Eingang fand, wirft ein insgesamt ungünstiges Licht auf Güte
und Nachdruck der Ermittlungsarbeit vor Ort. Auch wurde dieser Fehler in allen einschlägigen
Mengele-Monographien bis in die Gegenwart fortgeschrieben und bislang weder bemerkt noch
berichtigt.15 Wann und wo aber lebte die Familie Josef und Irene Mengele dann in Freiburg?
Sonnhalde 81 / bei Schoenbein - Familie im Fronturlaub
Dass die Polizei- und Justizbehörden 1958 die Stimmigkeit der Freiburger Meldeadresse Mengeies
1943 bis 1944 nicht genauer oder gar nicht überprüften, hatte seinen Grund vermutlich in
der Fokussierung auf die ermittelten und mutmaßlich aktuellen Fluchtadressen des gesuchten
SS-Arztes in Buenos Aires. Was sie sich offenbar gar nicht fragten: Warum war Josef Mengele
während des Krieges überhaupt nach Freiburg gekommen und (nur) in den fraglichen Jahren dort
gemeldet? Zuvor war sein mehrjähriger Wohnsitz Frankfurt a.M. gewesen, wo er seit Anfang
1937 am Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Frankfurter Universität unter dessen
Direktor Otmar Freiherr von Verschuer (1896-1969) an seiner fragwürdigen wissenschaftlichen
Karriere arbeitete; zunächst als Medizinalpraktikant und Volontär, dann als Assistent seines Doktorvaters
Verschuer, bei dem er im Juni 1938 summa cum laude zum Dr. med. promoviert wurde
.16 Es sind offenkundig familiäre Bande, die Mengeies Orientierung nach Freiburg motiviert
haben. Der Umzug der auf der Meldekarte mit Harry Sch. und Elise Sch., geb. Stöckle eingetragenen
Schwiegereltern 1940 von Leipzig nach Freiburg - beide mit dem jeweiligen Zusatz lebt
in Freiburg versehen - und der gleichzeitige Studienortwechsel seiner Frau Irene Mengele nach
Vgl. die von der Universitätsbibliothek Freiburg erstellten Digitalisate der überlieferten Adressbücher der
Stadt Freiburg 1798-1970 im Internet unter http://www.ub.uni-freiburg.de/?id=adressbuecher.
So zu finden in Völklein (wie Anm. 10), S. 253, zuletzt auch in Keller (wie Anm. 8), S. 121.
Tag der mündlichen Prüfung: 24.6.1938. Thema der 42-seitigen Dissertation: „Sippenuntersuchungen bei
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte". Veröffentlicht in: Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre
23 (1939). Die Frankfurter Promotion im Fach Medizin war Mengeis zweiter akademischer Abschluss.
Bereits 1935 war er unter Prof. Theodor Mollison an der Universität München im Fach Anthropologie -
ebenfalls summa cum laude - zum Dr. Phil, promoviert worden. Thema der Dissertation: „Rassenmorphologische
Untersuchungen des vorderen Unterkieferabschnittes bei vier rassischen Gruppen". Veröffentlicht
in: Gegenbaurs Morphologisches Jahrbuch. Eine Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte 79
(1937), S. 60-116. Zum Frankfurter Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene unter Verschuer allgemein
vgl. Peter Sandner: Das Frankfurter „Universitätsinstitut für Erbbiologie und Rassenhygiene". Zur Positionierung
einer „rassenhygienischen" Einrichtung innerhalb der „rassenanthropologischen" Forschung und
Praxis während der NS-Zeit, in: „Beseitigung des jüdischen Einflusses ...". Antisemitische Forschung, Eliten
und Karrieren im Nationalsozialismus, hg. vom Fritz Bauer Institut, Frankfurt a.M./New York 1999, S. 73-
100. Zu Josef Mengeies Frankfurter Zeit als Assistent von Verschuer vgl. Benjamin Ortmeyer: Jenseits des
Hippokratischen Eids: Josef Mengele und die Goethe-Universität, Frankfurt 2014.
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