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einer Ersatzeinheit der Wehrmacht, der 6. Kompanie des Sanitäts-Ersatz-Bataillons 9 in Kassel
zugewiesen. Nach eigenen Angaben von einem Ausbilder „schikaniert" und um die Wehrmacht
so schnell wie möglich wieder verlassen zu können, meldete sich Mengele nach nur vier Wochen
im Juli 1940 freiwillig zur Waffen-SS. Mit den ideologischen Vorgaben eines „nationalsozialistischen
, soldatischen Ordens nordisch bestimmter Männer"27 konnte sich Mengele in der Waffen-
SS fortan als NS-„Weltanschauungskämpfer" sehen, was seinem gestiegenen Selbstbewusstsein
und Selbstverständnis zu Beginn seiner Karriere im nationalsozialistischen Wissenschaftsbetrieb
eher entsprach. Zugleich aber wurde er so zu einem per SS-Treueeid „bis in den Tod" eingeschworenen
Angehörigen dieser für eine Vielzahl schwerer Kriegsverbrechen verantwortlichen
Einheiten, die zusammen mit den 1940 organisatorisch eingegliederten SS-Totenkopfverbänden
die Exekutivorganisation des Konzentrationslagersystems und des Holocaust bildeten. In letzter
Konsequenz sollte Mengeies Waffen-SS- und Wissenschafts-Karriere 1943 in Auschwitz-Birkenau
kulminieren.
Mengele, der im Rang eines SS-Hauptscharführers der Reserve in die Waffen-SS aufgenommen
und rückwirkend zum 1. August 1940 zum SS-Untersturmführer befördert worden war,
durchlief bis zum 4. November 1940 zunächst die übliche militärärztliche Ausbildung bei der
Sanitätsinspektion der Waffen-SS.28 Im November 1940 erfolgte die vorübergehende Versetzung
des SS-Offiziers zum Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) der SS, Abteilung II des Sippenamtes
, in Berlin, das für Angelegenheiten der „Erbgesundheitspflege und für Erbgesundheits-
prüfungen" zuständig war.29 Worin Mengeies Tätigkeit für das RuSHA bzw. Sippenamt in der
Folgezeit genau bestand, ist nicht bekannt. In der Mengele-Literatur wird angenommen, dass er
in Posen Gutachten für den „Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums" (Heinrich
Himmler) über die „rassische Einstufung Volksdeutscher Rückwanderer" aus der damals noch
mit dem Deutschen Reich verbündeten Sowjetunion erstellte.30 Mengele wurde daraufhin und
noch vor dem Angriff Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zu der am 20.
November 1940 aufgestellten Waffen-SS-Division „Wiking" versetzt. Für Mengele, der es gar
nicht habe erwarten können, zur Front abkommandiert zu werden und seinen Gestellungsbefehl
freudig begrüßte, bedeutete dieser Krieg nach eigenen späteren Aufzeichnungen den „letzten Verzweiflungskampf
der deutschen Nation um ihre gefährdete Existenz".31 Dass er ihn in den Reihen
von Himmlers „Elitetruppen", in einer Division der Waffen-SS gegen die Sowjetunion führte, hat
er neben seinen späteren Orden und Ehrenzeichen vermutlich als die größte Auszeichnung empfunden
. Die Überlieferungssituation zu Mengeies Fronteinsatz in der Ukraine und in Russland
1941/42 ist auf Grundlage von Mengeies SS-Offizierspersonalakte (SSOA) insgesamt ungünstig
So die Definition des Reichsführers SS Heinrich Himmler; erstmals in: Die Schutzstaffel als antibolschewistische
Kampforganisation, München 1936, S. 31.
Bundesarchiv Berlin, SS-Offizierspersonalakte Mengele, Bl. 395. Zit. nach Achim Trunk: Zweihundert
Blutproben aus Auschwitz. Ein Forschungsvorhaben zwischen Anthropologie und Biochemie (1943-1945),
Berlin 2003.
Der Eintrag in Mengeies SS-Mitgliedskarte lautet: Kdt. R. u. S. Abt. Sip. IL Das Datum ist einem Brief der
Sanitätsinspektion der Waffen-SS an das RuSHA vom 5. November 1940 zu entnehmen. Vgl. ebd., SSOA
Mengele, Bl. 403, zit. nach Trunk (wie Anm. 28), S. 12.
So Trunk (wie Anm. 28), S. 12 und Völklein (wie Anm. 10), S. 90. Ferner erwähnt Völklein ohne
Quellenangabe eine vorübergehende Tätigkeit an der „Umsiedlungsstelle" in Lodz. Zu den in der Literatur
genannten möglichen Tätigkeiten Mengeies nach seiner Versetzung an das RuSHA siehe allgemein die
Zusammenstellung in Benzenhöfer (wie Anm. 20), S. 230.
Vgl. Gerald L. Posner/John Ware: Mengele. Die Jagd auf den Todesengel, Berlin/Weimar 1993, S. 34f.
Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel: Mengele. The Complete Story, New York
1986.
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