Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0168
gut und rein, aber auch weich und unmännlich. Nun[,] nach dem Krieg kann man sich vielleicht
- auch mit Recht - dieser Welt des Nur-Schönen mehr hingeben. Aber unsere Zeit wird doch nur
wenig Raum lassen für solche Dinge. Wir sind eben keine Romantiker oder gar Biedermaierianer
(!)/ Die Zeit Friedrichs des Großen liegt näher bei einem Vergleich.51 Hier zeigt sich Mengeies
weltanschauliche Übereinstimmung mit Versatzstücken der nationalsozialistischen Ideologie
und Kriegsapotheose zumindest angedeutet. Entsprechend einschlägige Lektüre empfiehlt er
seiner Frau und schickt ihr 1944 aus Auschwitz ein Buch des für seine kriegsverherrlichenden
Texte bekannten NS-Schriftstellers Kurt Eggers.58 Mengele inszeniert sich im dozierenden Tonfall
dessen, der unsere Zeit - des Krieges - auf den gültigen Begriff zu bringen glaubt: Härte und
„Männlichkeit" werden vor der Ehefrau als die wahren Tugenden des Krieges ausgewiesen, die
der mitleidlosen Gewalt des Stärkeren das Wort reden. An anderer Stelle beschwört er den Krieg,
wenn nicht mit Heraklit als den „Vater aller Dinge", so doch als großen Lehrmeister, der selbst
das Ehepaar Mengele zu Sachlichkeit und Vernunft gebracht haben soll: Nein, ein Mißverstehen
gibt es in Zukunft überhaupt nicht mehr. Wir sind ja durch den Krieg viel klüger geworden und
werden über alles viel sachlicher und vernünftiger urteilen können - um dann doch gleich wieder
den angeschlagenen hohen Ton der „Vernunft" aufzugeben und sprachlich in die bekannten
Regressionen und Tautologien zu verfallen: Du liebes, kleines, gutes Fraule. Ich hab dich ja so
lieb. Du weißt das ja gar nicht! Nun sag ich es Dir! Denn man muß das wohl ab und zu seiner
Frau sagen, damit sie auch weiß, warum sie so lange warten muß. Ach Quatsch, das weiß doch
meine Frau schon von ganz alleine. Aber hören möchte sie es doch gerne! Ja??! Also, liebes, gutes
Fraule-Butzele, sei weiterhin tapfer und mach Deine Sache gut. Grüß die Eltern recht herzlich
von mir und nimm selbst ungezählte Küssle und so weiter von Deinem, nur Deinem, stets Deinem
Butz.59

Eingestreut in diese Brieftexte mit ihren Aus- und Abbiendungen, Andeutungen, Beschwichtigungsformeln
und Diminutiven sind allerdings auch herausfordernde, ungeduldig wirkende
Fragen nach der Lebensplanung und dem Freiburger Studienverlauf Irene Mengeies. Was geht
sonst in Freiburg vor?60 - Wie um nicht den Anspruch und die Einwirkungsmöglichkeit auf die
persönliche und berufliche Entwicklung seiner jungen Frau in Freiburg zu verlieren, möchte er
von ihr gelegentlich Genaueres wissen: Was macht das Studium? Hast du schon etwas über Deine
Münchner Arbeit gehört? Hast Du den Schein gekriegt?61 und: Im wievielten Semester bist Du
denn jetzt eigentlich? Wie lange bräuchtest [Du] denn jetzt noch zum Abschluß mit Dr.-Prüfung?
Schreib mir doch mal über all diese Dinge und Deine Absichten! Bei der Dauer des Krieges muß
man da auch planvoll weiterdenken.62 Im Gestus ähneln diese rapportähnlichen Anfragen dem
jahrelangen brieflichen Drängen und den wiederholten Kommentaren zur persönlichen und beruflichen
Entwicklung des erwachsenen Sohnes Rolf in Freiburg, den er zur Promotion antrieb
und dessen Privat- und Eheleben er aus der Ferne kritisch beurteilen zu müssen glaubte.63 Ohne
jegliche Selbstzweifel und Schuldeinsicht meinte selbst noch der weltweit geächtete Kriegsverbrecher
in seinem südamerikanischen Versteck, die moralische Kompetenz und persönliche Integrität
hierfür zu besitzen.

57
58
59
60
61
62
63

Anhang, Brief 3 (18.2.1942).

Anhang, Brief 8 (3.12.1944), vgl. Anm. 130.

Anhang, Brief 4 ( 20.2.1942).

Anhang, Brief 1 (4.1.1942).

Anhang, Brief 2 (17.1.1942).

Anhang, Brief 4 (20.2.1942).

Vgl. die auszugsweisen Zitate einiger dieser Mengele-Briefe aus den 70er-Jahren an seinen Sohn Rolf
Mengele in Posner/Ware (wie Anm. 31), S. 287ff.

166


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0168