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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0170
Humanen. Im Rahmen dieser Recherche können Art und Dimension von Mengeies nachweislichen
- im Wortsinn - Verbrechen gegen die Menschlichkeit weder im Einzelfall noch systematisch
thematisiert werden.69 Dennoch werden sie die Fragestellung nach den Voraussetzungen
und biografischen Aspekten dieser Tätertypologie bestimmen, eines der abgründigsten der Täter
von Auschwitz, der zwischen seiner „Familie" in Freiburg und der SS-„Dienststellung" in
Auschwitz-Birkenau ein weniger gespaltenes als vielmehr doppeltes70, das Banale und das Böse
umfassendes, letzten Endes unmenschliches Leben führte. Josef Mengeies Täterschaft im System
des größten deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers erfüllte dabei nicht nur den von
amerikanischen Militärgerichten 1945/46 erstmals formulierten Strafgrund des common design,
wonach es bei Angehörigen des SS-Lagerpersonals des Nachweises einer individuellen Schuld,
persönliche Exzesstaten oder einzelner, direkter Mordnachweise nicht bedurfte, um sie schuldig
zu sprechen und zu verurteilen. Das bei angeklagtem KZ-Personal hinreichende Tatmerkmal
innerhalb des KZ-Systems sah das amerikanische Militärgericht bereits in der allerdings nachzuweisenden
Tatsache gegeben, dass „jeder der Angeklagten sich über dieses System im Klaren
war, dass er wusste von dem, was mit den Häftlingen geschah, und es musste jedem nachweisen,
dass er an seinem Platz der Verwaltung, der Organisation des Lagers durch sein Verhalten, seine
Tätigkeit, das Funktionieren dieses System unterstützte, an diesem Funktionieren teilhatte".71
Das traf nahezu ausnahmslos auf alle Angehörigen der Lager-SS- und Totenkopfverbände zu, sofern
sie das Personal der einzelnen Lagerabteilungen stellten - Kommandantur, Schutzhaftlagerführung
, Verwaltung, Sanitätswesen (Standortarzt) und die SS-Totenkopfwachkompanien - und
organisatorisch wie funktional den „Betrieb" eines Konzentrationslagers ermöglichten. Mengele
hingegen war über diese „gemeinschaftliche Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord"72 hinaus
nachweislich persönlich für einzelne (Massen-) Mordaktionen in Auschwitz verantwortlich. Als
einer von etwa 15 SS-Lagerärzten des Lagerkomplexes Auschwitz (Stammlager, Auschwitz-Birkenau
und Monowitz), die mit den Lagerzahnärzten und Apothekern die Abteilung V, „Sanitätswesen
" (Standortarzt) bildeten, war Mengele 1943 und 1944 laut „Dienstplan" turnusmäßig an
den großen Rampenselektionen eingesetzt, bei denen er und seine „Kollegen" die ankommenden
Judentransporte des RSHA in „Arbeitsfähige" und „Nichtarbeitsfähige" trennten. Zehntausende
Menschen, ältere Männer und Frauen, Kinder unter 14 Jahren, Mütter mit Kleinkindern,
Schwangere, Schwache, Kranke und Behinderte wurden so nach Mengeies, per oberflächlicher,

Als synoptische Lektüre zur Auschwitz-„Biografie" Mengeies unentbehrlich: Danuta Czech: Kalendarium
der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939-1945, Reinbek 1989. Zum Täterpersonal
von Auschwitz-Birkenau grundlegend: Klee (wie Anm. 66).

Vgl. hierzu den psychohistorischen Erklärungsansatz von Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich, Stuttgart
1988. Um die psychischen Mechanismen der Selbstimmunisierung zu erklären, die speziell SS-Lagerärzte
zum gewissenlosen Morden befähigte, entwickelte der amerikanische Psychiater das analytische Modell
der „Dopplung" („doubling"), wonach ein Täter-„Selbst" in Auschwitz „zwei unabhängig voneinander
funktionierende Ganzheiten" aufgewiesen habe. Neben seinem „früheren Selbst" hätte der SS-Lagerarzt
unter den „Extrembedingungen" des Lagers und letztlich zur Selbstentschuldigung ein „Auschwitz-Selbst"
unbewusst ausgebildet: „Der Nazi-Arzt brauchte sein Auschwitz-Selbst, um in einer Umgebung funktionieren
zu können [...] Zur gleichen Zeit bedurfte er aber seines früheren Selbst, um sich weiterhin als humanen
Arzt, Ehemann und Vater ansehen zu können. Das Auschwitz-Selbst musste also von diesem früheren Selbst,
aus dem es entstand, zugleich unabhängig und mit ihm verbunden sein." Ebd., S. 491 f., bes. auch 500f.
Robert Siegel: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945-1948, Frankfurt
a.M. 1992, S. 44.

So die Terminologie für diesen Straftatbestand in den Anklage- und Urteilsschriften des 1. Frankfurter
Auschwitzprozesses 1963-1965; mit deutlich geringerer Zeitstrafe als jene Fälle belegt, bei denen den Angeklagten
(Massen-)Mor<i im Einzelfall nachzuweisen war und sie zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.

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