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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0174
„Schwere" des alltäglichen Dienstes in Auschwitz weiter nicht der Rede wert? Seiner Frau
wiederum erzählte er angeblich, doch wenig glaubhaft, zu keiner Zeit, worin genau sein
„Dienst" in Auschwitz-Birkenau bestand und welchen „Forschungen" er tatsächlich nachging.
Auch über die Art und Dimension des systematischen und fabrikmäßigen Mordens in Auschwitz
ließ er sie angeblich im Ungewissen, indem er ihre Fragen blockierte. Mengeies Schweigen
über sein „Privatleben" gegenüber seinen SS-Kollegen korreliert dabei in auffalliger Weise mit
dem Verschweigen seines mörderischen Dienstalltags gegenüber Irene Mengele, sofern dies
nicht nur deren spätere Schutzbehauptung war. Nachdem das Paar sich zu Weihnachten 1943
nicht gesehen hatte,85 wurde dem diensteifrigen SS-Lagerarzt erst Ende März oder Anfang
April 1944 anlässlich der Geburt seines Sohnes Rolf Familienurlaub genehmigt und eine Reise
nach Freiburg möglich gemacht. Der früheste der fünf Auschwitzbriefe datiert vom 26. April
1944 und belegt diesen wahrscheinlich ersten Freiburg-Aufenthalt nach Mengeies Dienstantritt
in Auschwitz 1943. Der Besuch, über den sonst nichts Näheres bekannt ist, dürfte etwa vier
Wochen, von Mitte oder Ende März bis mindestens 21. April 1944 gedauert haben.86 Nichts
deutet darauf hin, dass sich Mengeies Selbstverständnis durch die Geburt seines Sohnes oder
auch nur die Art der Verständigung mit seiner Familie im Anschluss geändert hätten. Obwohl
der Brief unmittelbar nach der Rückkehr aus Freiburg geschrieben wurde, nahm Mengele darin
bereits keinerlei Bezug mehr auf die gemeinsamen Freiburger Wochen mit seiner Frau und
dem neugeborenen Kind und kam sofort wieder auf seine dienstliche Situation in Auschwitz
und seine „Arbeit" zu sprechen. Retardiert und kryptisch deutete er Irene indessen Probleme
mit der Ode des Alltags und K.-L.-Betriebs (!) an: Die Arbeit geht so weiter, aber ich habe doch
die Absicht, im Ganzen verhaltener zu sein. Andererseits zeigte er sich durch eine launige kleine
SS-Feier unter Lagerärzten nebst deren Ehefrauen nach Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes
(KVK) IL Klasse mit Schwertern durch Lagerkommandant Arthur Liebehenschel
schnell wieder versöhnt. Zur Illustration und als Ausdruck unverhohlener Genugtuung zeichnete
Mengele das KVK sogar mit Bleistift in den Brieftext der ersten Seite hinein: Wenn es nun
auch kein seltener Orden mehr ist und ich auch noch einige wertvollere schon besitze, so hat
mich die damit verbundene Anerkennung meiner Arbeit und des Einsatzes, der manchmal und
immer wieder die Gefährdung der Gesundheit und des Lebens / bedeutet, doch sehr gefreut.
(Also, liebes Butzele, Du siehst[,]die Orden sammeln sich so allmählich auf meiner Heldenbrust
!!) [...] Man nennt [das K.V.K.] hier den „ Fleckfieberorden(>(.87 Keine Auskunft gab er
über den wahren Hintergrund des angedeuteten Einsatzes: Mengele, der sich in Auschwitz-
Birkenau durch seine besonders menschenverachtende Art der „Behandlung" der dort grassierenden
Krankheiten und Epidemien hervortat, hatte Ende 1943 eine Typhusepidemie im Frauenlager
B Ia dadurch „bekämpft", dass er 600, halb verhungerte und kranke Frauen eines ganzen
Lagerblocks vergasen ließ, um ihn anschließend reinigen zu können und die Frauen aus
dem nächsten Block nach ihrer Desinfektion in diesen „sauberen" Block zu verlegen und so

Vgl. die Bemerkung in Brief 10 (14.12.1944): Zudem sind wir dann wieder [!] ein Weihnachten nicht zusammen
. Nach Aussage von Felix Amann im 1. Frankfurter Auschwitzprozess befand sich Mengele allerdings
„über den Winter" 1943/44 in Urlaub und nicht in Auschwitz; vertreten habe ihn als Lagerarzt Franz Lucas.
Vgl. Friedrich Martin Balzer/Werner Renz: Das Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965),
Bonn 2004.

Unmittelbar nach der Rückkehr in Auschwitz berichtete Mengele seiner Frau am 26.4.1944 u.a. von einem
Zwischenaufenthalt in Berlin, wo es auch zur Begegnung mit seinem Chef (Verschuer) gekommen war und
über die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes in Auschwitz: Es sollte am 20.4.44 (Führers Geburtstag)
verliehen werden, doch ich war nicht da, sondern bei Dir [in Freiburg]. Vgl. Anhang, Brief 6 (26.4.1944).

87 Ebd.

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