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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0175
fort. Diese Methode wurde von ihm auch bei Ausbruch von Scharlach in den Lagerabschnitten
B IIc für ungarische Jüdinnen und B IIa im Block für jüdische Kinder sowie im „Zigeunerlager
" zur Anwendung gebracht, allerdings schickte Mengele dort alle Kranken in die Gaskammern
.88

Dass Mengele sein larmoyantes Klagen über die Ode des Alltags und K.-L-Betriebs in
Auschwitz und die vage Absicht, dort im Ganzen verhaltener zu agieren, ausgerechnet zu einer
Zeit zum Ausdruck brachte, als durch Adolf Eichmann die organisatorischen Vorbereitungen
auf die bevorstehenden Massendeportationen und die Vernichtung der ungarischen Juden in den
Gaskammern von Auschwitz-Birkenau längst angelaufen waren, ist ein weiteres Indiz seines
zynischen Kalküls. Bereits am 16. Mai 1944 kamen an der neuen Rampe von Birkenau die
ersten drei von 140 Zügen des RSHA an, mit denen bis zum 9. Juli 1944 insgesamt 437.402
Jüdinnen und Juden aus Ungarn deportiert wurden. Abwechselnd zwei und drei, manchmal auch
fünf Züge mit jeweils vier- bis fünftausend Menschen trafen so täglich in Auschwitz-Birkenau
ein.89 Abertausende Menschen wurden in diesen zwei Monaten von Mengele und den anderen
Lagerärzten und Lagerzahnärzten turnusmäßig selektiert. Die Jungen und Gesunden wurden,
ohne dass sie in die Lagerregister aufgenommen wurden, als sogenannte „Depothäftlinge" ins
Lager eingewiesen. Die übrigen Deportierten, mindestens 370.000 Frauen, Kinder und ältere
Menschen, wurden sofort nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet.90 Den differenzierten
Aussagen von Auschwitz-Überlebenden, die dem letzten revidierten Haftbefehl gegen Mengele
1981 zu Grunde liegen, ist zu entnehmen, dass Mengele allein zwischen April und August
1944 bei mindestens 39 verschiedenen Transportselektionen an der Rampe in Birkenau im Einsatz
gewesen ist. Er entschied so persönlich über das Leben und den Tod von Zehntausenden
Menschen.91 Nicht zuletzt griff Mengele während der sogenannten „Ungarn-Aktion" bei seinem
Rampendienst gezielt Zwillingspaare aus den Deportationszügen heraus und ließ sie zu seiner
ausschließlichen Verfügung ins Lager einweisen, wo sie in der Folge seinen „Experimenten"
zum Opfer fielen. Die Chronik der einzelnen Vernichtungsaktionen in Auschwitz im Sommer
1944 verzeichnet signifikant häufige Einträge, die den persönlichen Verantwortungsbereich von
Josef Mengele betreffen. Mengele wurde in dieser Zeit neben seinem „Rampendienst" im eigens
für ihn eingerichteten Laboratorium und Sektionsraum des Krematoriums III in Lagerabschnitt
B Ilf verstärkt „tätig".92 So wurde am 10. Juli 1944 im aufzulösenden „Familienlager" der aus
Theresienstadt nach Auschwitz deportierten Juden im Lagerabschnitt B IIb eine Lagersperre
angeordnet, in deren Verlauf Mengele die „Lagerselektion" selbst durchführte und am 11. Juli
1944 4.000 jüdische Frauen und Männer in den Gaskammern ermordet wurden.93 Im HKB für
Männer in B Ilf und im Frauenlager befanden sich zu dieser Zeit rund 100 männliche und etwa
400 weibliche Kinder und Erwachsene, darunter je 50 männliche und weibliche Zwillingspaare

Vgl. Kubica (wie Anm. 33), S. 412f. und Posner/Ware (wie Anm. 31), S. 45.

Darunter ein Deportationszug aus dem jüdischen Getto Berehovo in Transkarpatien (damals ungarisch: Be-
regszäsz), der am 26. Mai 1944 in Birkenau eintraf. Dessen Ankunft, die Selektion an der Gleisrampe, die
Registrierung und Entlausung der Arbeitsfähigen, die Plünderung der Habseligkeiten bis hin zum Weg zu
den Gaskammern zeigen die 193 Fotografien des sogenannten „Lilly-Jacob-Albums". Es sind die einzigen
überlieferten Bilddokumente dieser Art. Josef Mengele ist unter den auf den Fotografien zu erkennenden SS-
Tätern nicht zu identifizieren. Vgl. Das Auschwitz-Album. Die Geschichte eines Transports, hg. von Israel
Gutman und Bella Gutterman, Göttingen 2005.
Vgl. Czech (wie Anm. 69), S. 776ff.
Vgl. Posner/Ware (wie Anm. 31), S. 51 f.
Vgl. Czech (wie Anm. 69), S. 788 und 855.
Vgl. ebd., S. 820.

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