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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0179
lässlich eines Kurzurlaubs in Frbg. (Freiburg) mehrmals täglich - wahrscheinlich meist unnötig
- bei Fliegerwarnungen in den Keller rannte. Die Sorge und Verantwortung um das Kind sind mir
in ihrer ganzen Erlebnistiefe bis heute gegenwärtig.™5 Irene Mengele zog mit ihrem Sohn Rolf
am 23. November 1944 - und damit noch vor dem verheerenden Luftangriff auf Freiburg am 27.
November - nach Günzburg in das Haus von Mengeies Eltern.106 Heinrich und Elise Schoenbein
blieben vorerst in der Sonnhalde 81 wohnen, bevor auch sie, am 5. Dezember 1944, vorüber-
gehend in das Stammhaus der Mengeies nach Günzburg umzogen. Uber den letzten Aufenthalt
Josef Mengeies an seiner Freiburger Meldeadresse wird es im Düsseldorfer Scheidungsurteil
1954 unter Tatbestand lapidar heißen: Der letzte eheliche Verkehr der Parteien hat im November
1944 stattgefunden. Die Klägerin hat vorgetragen, dass der Beklagte nach seinem letzten Urlaub
im November 1944 nicht mehr zu ihr zurückgekehrt sei.107

In mehreren, im Dezember 1944 in Auschwitz geschriebenen Briefen an Irene Mengele in
Günzburg versuchte Mengele, seine Frau für einen letzten, geradezu aberwitzigen Lebensentwurf
en famille zu gewinnen.108 Nicht mehr in Freiburg oder Günzburg sah er die Zukunft für sich
und seine Familie, sondern in einer womöglich dauerhaften, jedenfalls längerfristig gedachten
Übersiedlung Irene und Rolf Mengeies in die SS-Wohnsiedlung nach Auschwitz. Nur wenige
Wochen vor der Befreiung des Vernichtungslagers durch die Rote Armee am 27. Januar 1945
muss Mengeies „Familienplanung" jeglichen Wirklichkeitssinn verloren haben. Hintergrund war
ein halbherziger und letztlich gescheiterter Intervenierungsversuch, über Standortarzt Wirths
und eine Personalbesprechung mit Enno Lolling im Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt seine
Freigabe zur Feldtruppe zu erwirken; ob er dies versuchte, um sich von seinen Mordpflichten in
Auschwitz zu entbinden, bleibt dahingestellt. Jedenfalls versöhnte sich Mengele Ende 1944 nicht
nur mit der Aussicht, auch im kommenden Jahr seinen Dienst in Auschwitz zu verrichten, sondern
glaubte trotz der unaufhaltsam heranrückenden Roten Armee noch immer daran, dass die
Kriegsentwicklung dies überhaupt zulassen werde: Die Angriffe hier betrafen das Industriegebiet
[Auschwitz III, Monowitz]. Wir kamen bis jetzt ungeschoren davon. Natürlich rauschen die
Geschwader nur so über uns weg. Aber sie werden sich ja nicht gerade KL. zur Bombardierung
aussuchen.™9 Dass Mengele in dieser Hinsicht Recht behalten sollte und Auschwitz-Birkenau
und die Zufahrtsgleise zur Rampe tatsächlich kein einziges Mal Ziel alliierter Angriffe wurden,
gehört zu den unerträglichen Zynismen der Geschichte. Ein Meister der Verdrängung und Abspaltung
, erschien Mengele im Dezember 1944 Auschwitz jedenfalls als der für seine Familie
richtige und einstweilen sichere Ort: So denke ich, dass ich jetzt nicht so schnell hier loskomme,
wenigstens bis zum Frühjahr nicht. Aber dann könnten wir doch wenigstens die paar Monate
noch zu einem Zusammensein en famil[\]e nützen. Das glaubte ich auch aus Deinen Briefen
herauszuhören! Also überleg Dir die Sache und schreib mir schnell, was du denkst [...] Diesmal
darfst Du aber wirklich ganz frei entscheiden und ich werde Dir auch im ablehnenden Fall keine
„Schwierigkeiten " machen! Du kannst nun diese Frage auch besser als im Sommer beurteilen.

Mengele-Nachlass, Sammlung Burda, undatiert. Zit. nach Zofka (wie Anm. 67), S. 266.
Das Datum nennen Posner/Ware (wie Anm. 31), S. 80, und berufen sich vermutlich auf Aussagen Irene
Mengeies. Die Anmeldung Irene und Rolf Mengeies in Günzburg, Am Stadtbach 4, erfolgte nachweislich
am 28.11.1944 (Einwohnermeldekarte Irene Mengele, Einwohnermeldeamt Günzburg). Am 20.4.1945
meldeten sich Irene und Rolf Mengele dann im nahegelegenen Autenried, Hausnummer 36, an, wo sie
bis zu ihrem Wegzug zurück nach Freiburg am 20.4.1949 gemeldet waren (Meldekarte Irene und Rolf
Mengele, Einwohnermeldeamt Ichenhausen).

Scheidungsurteil Irene und Josef Mengele, 3. Zivilkammer am Landgericht Düsseldorf, 25.3.1954.
Vgl. Anhang, Briefe 7 bis 10.
Anhang, Brief 8 (3.12.1944).

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