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zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive [...] Es
war gewissermaßen schiere Gedankenlosigkeit [...], die ihn dafür prädisponierte, zu einem der
größten Verbrecher jener Zeit zu werden. Und wenn dies „banal" ist [...], wenn man ihm beim
besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe abgewinnen kann, so ist es darum noch lange
nicht alltäglich."115
In diesem Sinne ist es nicht die „Banalität des Bösen", die in den Briefen und den anderen
hier wiedergegebenen Dokumenten aus Josef Mengeies Täterbiografie kenntlich wurde. Zwar
mag auch Josef Mengele von teilweise „erschreckender Banalität" gewesen sein, aber er war es
als ein wie auch immer zu denkender „Mensch", diesseits seiner selbstgewählten und vorsätzlichen
Grenzüberschreitung zum SS-Täter in Auschwitz-Birkenau. Geradezu peinlich „banal"
war Mengele im Besonderen en famille, als Ehemann und Vater, als Autor regressiver Front- und
Liebesbriefe an seine Frau, als Kurzurlauber in seiner „Wahlheimat" Freiburg, wo er vermutlich
lange noch das „richtige Leben im falschen" (Adorno) für möglich hielt. Am Ende „banal" noch
im Scheitern an der Umsetzung seines Entwurfs eines „normalen Lebens", in seinem abwegigen
Versuch, den Spagat zwischen Freiburg und Auschwitz, Familienwohnsitz und Dienststellung,
damit zu beenden, dass er die Familie im Dezember 1944 zu einem Umzug nach Auschwitz zu
überreden suchte. Keineswegs aber „banal" erwies sich Mengele als der von Ehrgeiz getriebene,
mit skrupellosem Kalkül ausgestattete und agierende SS-Arzt, ein in NS-Weltanschauung und
Rassenideologie fundierter Gesinnungstäter, der in Auschwitz-Birkenau keiner Befehle bedurfte,
um „tätig" zu werden und der sich auch nie als willenloser, unreflektierter Befehlsempfänger im
arbeitsteiligen Vernichtungsbetrieb von Auschwitz verstanden oder zu entlasten versucht hat.
Im Täterprofil Mengeies blieb die „Familie in Freiburg" ein mehr gedachter als gelebter Gegenentwurf
. Zwischen ihr als bloßer Chiffre des Privaten und seinem mörderischen „Dienst" in
Auschwitz verordnete und wahrte Josef Mengele undurchdringliches Schweigen. Keinen Hinweis
gibt es, dass Mengele die Unvereinbarkeit seines nur in Ansätzen gelebten „normalen" wie
„banalen" Lebens in Freiburg und seiner Zugehörigkeit zur Todeswelt von Auschwitz-Birkenau
je zu Bewusstsein gekommen wäre; keinen Hinweis auch darauf, dass er sein Handwerk des
Tötens als solches je reflektiert hätte und ihm eine Einsicht in das Wesen seiner Verbrechen gekommen
wäre; von Schuldeinsicht und strafrechtlicher Verantwortung ganz zu schweigen. Die
Pole des Banalen und des Bösen umreißen das Leben dieses unmenschlichen Menschen und SS-
Täters. In Freiburg und Auschwitz sind sie verortet.
Ebd., S. 56f.
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