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Elsass und Ungarn enthält und die sie über 40 Jahre hinweg zusammengetragen hat. Darauf folgt ein
Beitrag der Konstanzer Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann mit dem Titel „Erinnerungsikonen -
Brautkränze und Totengedenken im Spiegel des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses". Assmann
interpretiert die „Känschterle", wie sie in Südwestdeutschland genannt werden, als Erinnerungsikonen, die
einen Blick freigeben auf das Leben von Frauen im ländlichen Milieu, also auf einen Personenkreis, von
dem sonst normalerweise nichts Biografisches überliefert ist. Damit füllen sie eine Leerstelle im kulturellen
Gedächtnis mit Erinnerung an Menschen, die keine schriftlichen Zeugnisse über sich hinterlassen haben
und ein „normales", unscheinbares Leben geführt haben. Gleichzeitig erweitert die Sammlung unseren
wissenschaftlichen Horizont um eine Form der Erinnerungskultur, die sich nicht auf individuelle Leistung,
sondern auf grundlegende menschliche Erfahrungen wie Heirat und Tod beziehen. Michael Prosser-Schell
erklärt in seinem Beitrag die Bedeutung von Übergangsriten. Die klassischen Einschnitte, die dadurch gekennzeichnet
und öffentlich gemacht werden, sind Geburt/Taufe, Heirat und Tod. Diese Verhaltensregeln
helfen, kritische Situationen der menschlichen Existenz zu bewältigen. Zu diesen Riten gehören außer festgelegten
Handlungen auch bestimmte Objekte, die ihren Sinn außerhalb des subsistenzsichernden Alltags
haben und ökonomisch nutzlos, ja verschwenderisch sind wie Brautkleider oder Kränze. Ein häufiges und
wichtiges Requisit im Repertoire der Kastenbilder stellt der Kranz dar. Dagmar Hänel steuert deshalb eine
Überblicksdarstellung zur Symbolik des Kranzes im Allgemeinen und zu seiner Verwendung insbesondere
im westlichen Kulturkreis bei. Sie interpretiert den Kranz als Symbol für Unschuld (Brautkranz), Status
und Ehre (Grabschmuck) und Erfolg (Siegerkranz). Daneben kommen Kränze bei Riten im Jahreslauf
zum Einsatz (Erntedank, Fronleichnam, Frühlingsfest/Mai) und stehen für die Zyklizität der Jahreszeiten.
Braut- und Totenkränze in den Kastenbildern visualisieren damit einerseits die Stellung der Träger in der
Gesellschaft, andererseits das Eingebundensein in den Lebenszyklus von Geburt, Heirat und Sterben. Sie
sind hochgradig symbolgeladene Objekte, die sich als Anknüpfungspunkt für eine Erinnerungstradition
bestens eignen.
Der zweite große Abschnitt des Sammelbandes beschäftigt sich mit den Brautkränzen, dem Schwerpunkt
der Sammlung. Kathrin Fischer sucht die Verbindung zwischen den Erinnerungsstücken und den Frauen,
denen sie einst gehört haben, herzustellen. Dabei geht es ihr nicht um die Individuen, sondern um typische
Lebensläufe und Erfahrungshorizonte, denen sie nachspürt. Im nächsten Beitrag geht Christoph Schmider
auf Primiz und Profess als eine besondere Form der Heirat, nämlich der symbolischen Verheiratung mit
der Kirche ein. Auch hier wurden Primizsträußchen oder Professkränze gefertigt, die in hohen Ehren
gehalten wurden. Die Anlehnung an Hochzeitsbräuche ging zeitweise so weit, dass ein minderjähriges
Mädchen aus der Verwandtschaft des Neupriesters ihn als „Primizbraut" begleitete. Ganz ähnlich wird
die Ablegung des Ordensgelübdes gefeiert: Durch Anlegen des Rings und Aufsetzung des Kranzes zeigt
sich die Nonne als Braut Christi. Andreas Seim geht in seinem Aufsatz der spannenden Frage nach, wer
Kränze und Anstecksträußehen fertigte und wo die „Rohstoffe", die Bestandteile der Objekte herkamen.
Er kann zeigen, wie Perlen und künstliche Blumen seit dem beginnenden 19. Jahrhundert in protoindus-
trieller Fertigung bzw. in an ein Verlagssystem angebundener Heimarbeit entstanden. Gebunden wurden
die Kränze oft in Frauenklöstern oder von weltlichen Kranzmacherinnen. Die Kästen wurden ab dem ausgehenden
19. Jahrhundert zwar noch von Buchbindern und Schreinern einzeln gefertigt, aber oft schon
unter Verwendung von vorgefertigten Dekorationen. Märta Fata schreibt über die Brautkranztradition der
Donauschwaben in Ungarn. Brautkränze als Symbol der Unberührtheit waren in allen ethnischen Gruppen
Ungarns verbreitet und es kam zur gegenseitigen Beeinflussung unterschiedlicher Gruppen in Bezug auf
ihre Form und Ausgestaltung. Es war jedoch bei den Donauschwaben nicht überall verbreitet, die Kränze
zu rahmen und aufzubewahren.
Das nächste Kapitel befasst sich mit den Objekten aus der Sammlung Jochimsen, die zum
Totengedenken entstanden sind. Auch hier übernahm Kathrin Fischer den hinführenden Artikel, in dem
sie auf die verschiedenen Typen und Gruppen eingeht. Der Hauptunterschied beim Totengedenken ist, dass
dort neben Kränzen auch Haare verarbeitet wurden. Diese dienten als Haarblumen oder Haar-Trauerweiden
der Dekoration, zum Teil in richtigen Friedhofsszenarien. Haarerinnerungen bilden als Körper- oder
Zimmerschmuck ein intimes Erinnerungszeichen.
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