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Rainer Sörries gelingt es in seinem Beitrag, einen deutlich weiteren Bogen zu schlagen und den
Ursprung der Kastenandenken im biedermeierlichen Wunsch nach der heilen Welt in der Kleinfamilie zu
verorten. Er sieht sie als Kennzeichen einer neuen, „bis dahin nicht gekannten Autonomie der Familie".
Aus der durchaus vorhandenen Forschungsliteratur und Ausstellungschronologie, die er zu Haararbeiten
und Totenandenken zusammenstellt, wird deutlich, dass es sich hier nicht um ein deutsches Phänomen
handelt, sondern dass die Produktion der „Zimmerdenkmale" in Europa und Nordamerika zeitweise „die
Ausmaße einer regelrechten Erinnerungsindustrie" annahm. Er stellt klar heraus, wie die Fotografie die
Haarbilder zuerst aus dem Zentrum der Gedenkobjekte und dann gänzlich aus der Erinnerungskultur verdrängte
.
Der Textteil endet mit zwei kurzen Beiträgen, die die Thematik ebenfalls in größere Zusammenhänge
einordnen: Michael Prosser-Schell schreibt über die demographischen Hintergründe mit Schwerpunkt auf
der Kindersterblichkeit, Christine Aka über die Formen des Totengedenkens mit Blick insbesondere auf
die private Frömmigkeit. Ihr kurzer Ausblick auf die Gegenwart zeigt, dass sich hier gerade ein breites
Forschungsfeld für die europäische Ethnologie zu entwickeln beginnt.
Ausgerüstet mit dem geballten Fachwissen aus den Beiträgen kann man nun durch den Bildteil und das
komplett farbig bebilderte Werkverzeichnis in der zweiten Hälfte des Bandes wie durch eine Ausstellung
spazieren. Die prächtigsten Objekte finden sich im Bildteil noch einmal als großformatige Farbabbildungen
auf je einer ganzen Seite. Für das Werkverzeichnis wurde jedes Objekt exakt inventarisiert und mit einer
detaillierten Beschreibung versehen. Der Band wird abgerundet durch eine Bibliografie, in der die wichtigsten
Literaturtitel aus den Aufsätzen zusammengefasst sind. Das Buch ist eine gelungene Mischung aus
genauer Analyse der Objekte und ihrer Einordnung in die europäische Kulturgeschichte. Insbesondere die
Beiträge von Assmann, Prosser-Schell und Seim zeigen, dass die Kastenbilder als Quellen für zentrale
Forschungsfragen (Erinnerungskulturen, Übergangsriten, Frömmigkeitsformen) dienen können.
R. Johanna Regnath
Kirchengeschichte am Oberrhein ökumenisch und grenzüberschreitend, im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft
Christlicher Kirchen hg. von Klaus Blümlein, Marc Feix, Barbara Henze und Marc
Lienhard (Veröffentlichungen des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte 30), Verlag Regionalkultur,
Ubstadt-Weiher 2013, 648 S., 117 Färb- und S/W-Abb.
Vor weniger Generationen hätte ein Werk mit einem so unbändigen Willen zur Verständigung und
Versöhnung über die konfessionellen und politischen Grenzen hinweg wohl ungläubiges Kopfschütteln
hervorgerufen. Der umfangreiche Band dokumentiert und analysiert die Entwicklung der kirchlichen oder
religiösen Lebensverhältnisse am Oberrhein vom Mittelalter bis in die aktuelle Gegenwart im Blick auf die
ganze Vielfalt und Verschiedenheit der Kirchen und religiösen Bewegungen, die Spannungen und Konflikte,
ganz besonders aber in Hinsicht auf die Gemeinsamkeiten, Annäherungen und Versöhnungsschritte auf
dem Weg in die Ökumene. Bedeutung, Chancen und Perspektiven der Ökumene werden gesondert in der
Einführung, in Kapitel 5 und im Nachwort des Bandes kritisch und klug erörtert. Mit Recht hat der frühere
Landesbischof der Badischen evangelischen Landeskirche Dr. Fischer einmal betont: „In Baden gehen die
ökumenischen Uhren anders". Er meinte, sie gehen rascher als anderswo. Dass Basel und die Nordschweiz
in diesem „Oberrhein-Band" ausgeklammert bleiben, wird im Vorwort zugleich eingestanden und bedauert.
Alle Teile des Werkes - es sind zwölf Kapitel und 13 Exkurse - haben die übergreifende Zielsetzung
des Bandes im Blick: Das wechselseitige Verständnis über die konfessionellen und politischen Grenzen
am Oberrhein hinweg zu vertiefen und das Bewusstsein einer „versöhnten Verschiedenheit" zu vermitteln
. Vorbildlich ist dabei die Qualität der Information mit den entsprechenden Nachweisen. Deutlich
wird die Verschränkung kirchlicher Strukturen und Einstellungen mit den Machtverhältnissen und sozialen
Prozessen thematisiert. In vielen Teilen des Bandes werden der Kirchengeschichte ganz neue Felder
der Wahrnehmung und Einschätzung erschlossen. So werden u.a. durch die Jahrhunderte hindurch „spirituelle
Lebensformen" vorgestellt. Man findet die „Pfadfinderbewegung" ebenso behandelt wie die
„UmWeltbewegung" - jeweils aus kirchlicher und profaner Sicht. Ein ganz und gar innovatives Kapitel
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