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Johannes Reuchlin und der „Judenbücherstreit", hg. von Sönke Lorenz und Dieter Mertens (Tübinger
Bausteine zur Landesgeschichte 22), Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2013, 272 S., 13 S/W-Abb. und 3
Stammtafeln.
Der von Heike Schmoll, Korrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin, im Oktober 2011
gewählte Titel „Zu seiner Zeit ein Wunderzeichen" für einen ihrer Zeitungsartikel, könnte als Leitmotiv für
die Lektüre dieses Sammelbandes gelten. Die neun Beiträge über den Hebraisten Johannes Reuchlin (1455-
1522), die hier anlässlich des 500. Jubiläums der ersten Drucklegung des „Augenspiegel" in Tübingen Ende
August 1511 vorgestellt werden, werfen ein neues Licht auf einen der wichtigsten deutschen Humanisten
der so Heike Schmoll „heute außerhalb seiner Geburtsstadt Pforzheim nahezu vergessen ist". Wie
aus dem Vorwort (S. 9-11) des Freiburger Mediävisten Dieter Mertens hervorgeht, erlauben nun die im
Zeitraum 1999 bis 2013 edierten letzten kritischen Ausgaben der Reuchlin-Werke, dass „die Reuchlin-
Forschung auf eine sichere und gut zugängliche Grundlage" gestellt werden kann.
Der Band beginnt mit einem Aufsatz (S. 15-53) von Sönke Lorenz, dem 2012 verstorbenen, ehemaligen
Leiter der Tübinger Arbeitsgruppe des Alemannischen Instituts sowie Organisator einer Ringvorlesung über
Johannes Reuchlin und den „Judenbücherstreit" war. Dieser Beitrag beinhaltet Reuchlins Lebenslauf und
Wirken an der Tübinger Universität und seine Beziehungen zu Gelehrten derselben Universität, wie dem
Berner Chronisten Valerius Anshelm (1475-1547), dem Wimpfener Rechtsgelehrten Georg Simler (1477-
1536), dem Schwetzinger Lehrer und Korrektor Johannes Hiltebrandt (1480-1515) und dem Brettener
Reformator Philipp Melanchton (1497-1560). Der US-amerikanische Akademiker David H. Price analysiert
die Veröffentlichungen Reuchlins in Beziehung zum Judentum (S. 55-82), wie z.B. die Werke De verbo
mirifico (1494), De arte cabalistica (1517) und die Epistolae clarorum virorum (1514), um zu beweisen, wie
Reuchlin das jüdische Wissen und insbesondere einige Aspekte der Kabbala als Teil der christlichen Kultur
verstand. Im dritten Beitrag (S. 83-105) beschreibt Hans-Martin Kirn, Theologe an der Evangelischen
Fakultät der Universität Utrecht, die Merkmale der im deutschen Sprachraum des 16. Jahrhunderts geführten
Auseinandersetzungen zwischen mentalen und realen Auffassungen der jüdischen Minderheit, etwa
im Hinblick auf konkrete Handlungsoptionen wie im Fall des konvertierten Juden Johannes Pfefferkorn
(1469-1521). Als vierter Aufsatz (S. 107-117) stellen die Herausgeber die Ergebnisse einer Forschung von
Saverio Campanini, Mitglied des „Institut de recherche et d'histoire des textes" am „Centre national de
la recherche scientifique" in Paris, vor, die unter dem Titel „Literatur als Kunst", das Verdienst Reuchlins
auf dem Gebiet der Kabbala-Studien beschreibt und die Gestalt des Pforzheimer Gelehrten mit den anderen
Vätern der christlichen Kabbala, wie Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), Ludovico Lazzarelli
(1447-1500), Pablo de Heredia (1408-1486) und Flavius Mithridates (ca. 1450-1483), vergleicht. Matthias
Dall'Asta, Historiker an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, erwähnt in seinem Beitrag (S.
119-146) die vielseitige Dichtkunst Reuchlins, die zwischen Werken zur geistigen Erbauung (wie im Fall
eines Mariengedichtes aus der Mitte der 1490er-Jahre) und Wutausbrüchen mit sexuellen Andeutungen
(wie anlässlich des 1496 geschriebenen Zorngedichtes) pendelte. Laut Wolfgang Schild (S. 147-172),
Rechtshistoriker an der Universität Bielefeld, war es das besondere Verdienst von Reuchlin, die Rezeption
der italienischen Jurisprudenz in Deutschland unterstützt zu haben. Die Beantwortung der Frage des „interreligiösen
Dialogs" durch Reuchlin bildet den Schwerpunkt des von Hans-Rüdiger Schwab, Sozialhistoriker
an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, vorgelegten Aufsatzes (S. 173-196). Anhand von
acht Hauptpunkten zeigt er auf, dass der zeitgenössische programmatische Beginn des interreligiösen
Dialogs auf institutioneller Ebene auch dank Reuchlins Erbe sich auf eine weit zurückreichende theologische
Tradition stützt. Die letzten zwei Beiträge waren ursprünglich nicht im Programm der Ringvorlesung,
fanden aber wegen der spezifischen und passenden Forschungsschwerpunkte dennoch ihren Platz im vorliegenden
Band. David H. Price, Universität Illinois, teilt in seinem Aufsatz (S. 199-222) die Judenpolitik
des habsburgischen Kaisers Maximilian I. in zwei Phasen, von 1493 bis 1510 und von 1510 bis 1514. Der
Stammbaumforscher Günther Schweizer unternimmt den gelungenen Versuch, anhand dreier, die straßbur-
gische, württembergische und niederländische Linien betreffender Stammtafeln, eine biografische Skizze
der Familie Reuchlin anzufertigen. Ein Personen- und Ortsindex (S. 263-272) schließen das Buch ab.
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