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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2014/0218
Petain in Vichy und de Gaulle in London erreichen. Der Bericht enthielt eine realistische Darstellung der
negativen Folgen der Kriegswirtschaft; das Brisante daran war, dass er auf eine undichte Stelle in Wagners
Umgebung schließen ließ. Hier war ein effektives Netz am Werk, als dessen Zentrum der Autor Charles
Bareiss nennt. Die „Organisation Bareiss" war auch an der geheimnisumwitterten Befreiung des Generals
Henri Giraud beteiligt. Als Beispiele für die eher unkoordinierten Aktionen einzelner Jugendlicher oder
Jugendlichen-Gruppen nennt er „La Main Noire" in Straßburg, „La Legion C40" in Mulhouse, die Gruppen
Schaeffer und Adam-Kieffer sowie le „Front de la jeunesse alsacienne". Sie traten durch Sabotageakte und
Flugblattaktionen hervor; die Strafen rangierten zwischen Erziehungsheim in Deutschland für ganz junge
Täter bis zu Todesurteilen für Hauptakteure.

Im zweiten Teil des Buches behandelt Vonau auf über 100 Seiten „Le Proces de Robert Wagner et
de ses complices", der vom 23. April bis zum 3. Mai 1946 vor dem Militärgericht Straßburg stattfand.
Mitangeklagte waren: Hermann Röhn (stellvertretender Gauleiter), Adolf Schuppel (Stabsamtsleiter der
NSDAP-Baden), Walter Martin Gädeke (Oberregierungsrat, leitender Beamter in der Zivilverwaltung des
Elsass), Hugo Grüner (Kreisleiter von Lörrach und Thann) und drei Juristen vom Sondergericht Straßburg:
Staatsanwalt Ludwig Luger, stellvertretender Staatsanwalt Ludwig Semar und Präsident Richard Huber,
wobei der Letztere nicht anwesend war und Semars Fall abgetrennt wurde. Wagner, Röhn, Gädeke,
Schuppel und Grüner wurden zum Tod verurteilt, das Urteil gegen die vier Erstgenannten wurde am 14.
August 1946 in Straßburg vollstreckt. Vonau wertete die Originalunterlagen im Depot Central d'Archives
de la Justice Militaire (DCAJ) in Le Blanc (Departement Indre) aus und ergänzte die Quellenbasis durch
Dokumente aus den Archiven der Departements Haut-Rhin und Bas-Rhin, dem Stadtarchiv Straßburg und
zeitgenössische Presseberichte. Er lässt die Ereignisse der Gerichtstage vor dem Leser Revue passieren
und vermittelt neben den Fakten viel von der Atmosphäre im Gerichtssaal im Straßburger Palais de Justice,
genau da, wo 1940 bis 1944 das Sondergericht getagt hatte. Um ein Detail herauszugreifen: Unter den deutschen
Pflichtverteidigern befanden sich die Freiburger Anwälte Dr. Fritz Drischel, Dr. Willy Herrmann, Dr.
Hermann Kopf und Dr. Paul Polyka. Sie waren von der Besatzungsmacht verpflichtet worden und hatten
jeweils einen französischen Anwalt als Berater zur Seite.

Vonau setzt verschiedene kritische Akzente: Er spart nicht mit Bemerkungen zum Gebaren des
Anklägers Colonel Daubisse, das dem Ernst des Vorgangs nicht entsprochen habe. Den Freispruch des
Mitangeklagten Luger, Staatsanwalt des Straßburger Sondergerichts, kann er nicht nachvollziehen und
vermutet Wohlwollen innerhalb eines Berufsstandes über politische und ideologische Grenzen hinweg. Den
Hauptfehler des Prozesses sieht er in der Tatsache, dass die „incorporation de force" nicht im Mittelpunkt
stand und das Kriegsverbrechen an über hunderttausend Elsässern, den „Malgres-nous", von denen mehr
als ein Drittel an der Ostfront gefallen ist, nicht aufgearbeitet wurde. Lang diskutierte Anklagepunkte waren
Todesurteile an einer Gruppe Wehrdienstflüchtiger, die einen deutschen Zöllner erschossen hatten, und
die Erschießung von vier kriegsgefangenen englischen Fliegern. Als weiteren großen Fehler betrachtet er
die En-bloc-Anklage gegen Wagner gemeinsam mit seinen Untergebenen. Man habe seine Persönlichkeit
unterschätzt, er sei kein subalterner Nationalsozialist gewesen, habe direkten Zugang zu Hitler und sogar
Einfluss auf ihn gehabt. Vonau weicht damit von der Einschätzung des badischen Autors Horst Ferdinand
ab, der Wagner kein eigenverantwortliches Handeln zutraute, was dann die Frage zuließ, ob er wirklich der
„Henker des Elsass" war. Unter diesem Titel hatte 1946 schon der Autor Pierre Crenesse über den Wagner-
Prozess geschrieben. Vonau kennt und zitiert Horst Ferdinands Publikationen, vertauscht aber Vor- und
Zunamen, was für Uneingeweihte manche Anmerkung wertlos macht. Beim Stichwort „Namen" ist anzumerken
, dass deutsche Ortsnamen in den französischsprachigen Prozessunterlagen zum Teil nach Gehör
geschrieben wurden und in dieser Form in den Zitaten erscheinen. Ein Beispiel ist Rupelsau = Rippoldsau,
eine Station auf Wagners Flucht nach der Einnahme Straßburgs im November 1944.

Vonau legt ein wissenschaftliches Sachbuch vor, präsentiert und kommentiert die Ereignisse allgemein
verständlich, zum Teil sogar im Erzählton. Bei einer zweiten Auflage sollte ein Orts- und Personenregister
angelegt werden. Äußerst mühsam ist jetzt die Suche nach den Erwähnungen z.B. von Winniza oder
von Personen wie den oben genannten Rechtsanwälten. Der Anhang enthält an die 400 Anmerkungen
und hilfreiche Dokumente: die Verordnungen über die Staatsangehörigkeit und die Einführung der

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