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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0012
Somit gelangen wir zur Verfasserfrage. Der einzige Anhaltspunkt im Text ist der Hinweis,
dass der Beschuldigte die beanstandete Predigt am Sonntag nach Johannis Baptiste gehört hat
- am 29. Juni, wenn das Jahr 1522 zutrifft. Obwohl wir es wohl mit einem theologisch oder juristisch
mehr als nur rudimentär Gebildeten zu tun haben, kann es sich trotzdem nicht um den
Hebraisten und Gräzisten Johannes Lonitzer handeln, auch wenn dieser sich mit einem Franziskanermönch
, der im Münster predigte, angelegt und einen Anschlag an das Kirchentor geheftet
hat. Lonitzer verbrachte nämlich keinen Sommer in der Stadt.8

Am Münster gab es mehrere reformgesinnte Priester, darunter Diebold Kempf, Johann
Dankwart, Johann Heinrich Sigelmann und Ludwig Öler. Letzterer wurde 1524 gezwungen,
die Stadt zu verlassen und entfloh nach Straßburg, von wo aus er eine Schmähschrift gegen den
Freiburger Rat veröffentlichte.9 Keiner dieser Geistlichen ist jedoch mit unserem Text unmittelbar
in Verbindung zu bringen.

Bei Frauenfeld begeben wir uns dagegen auf fruchtbareres Terrain. In seiner am 14. November
1522 geschworenen Urfehde gab der junge Arzt zu, er habe die Predigten des Magisters
Georg Keck in der „Pfarrkirche" (d.h. dem Münster) über die Heiligenverehrung öffentlich
kritisiert und verworfen. Eine Analyse der Urfehde wird allerdings dadurch erschwert,
dass sie mehrere Brandlöcher aufweist - ausgerechnet bei den triftigen Passagen (Abb. 2).
Die Behauptung im durchgestrichenen dritten Textartikel, der Beschuldigte habe öffentlich
gegen (Münster-)Priester „gepredigt", darf nicht so ausgelegt werden, als handele es sich bei
ihm um einen Geistlichen: Vielmehr will damit nur gesagt werden, dass er vor die Öffentlichkeit
getreten ist10 - die Passage spricht also nicht gegen Frauenfeld. Zwischen unserem Text
und Frauenfelds Urfehde klaffen allerdings mehr als fünf Monate: Erinnert sei daran, dass
der Text von kritischen Äußerungen um Mittsommer spricht, die noch in frischer gedechtnuß
seien. Ist es glaubhaft, dass der Rat, der auf die geringste Regung von evangelischer Gesinnung
in Freiburg scharf und konsequent reagierte, fünf Monate hat verstreichen lassen, ehe
er Frauenfeld in Gewahrsam nahm? In der Urfehde werden lediglich dessen Ausfälle am Allerheiligentag
erwähnt. Von tiefgreifenden Verhören, die der Rat veranlasst haben mag, wird
ebenfalls kein Wort geredet.

Es mag zudem befremden, dass sich ein junger Arzt - dank seines akademischen Grades
als Magister Artium immerhin des Lateins kundig - derart ausführliche Kenntnisse der Bibel
und der Kirchenväter hat aneignen können. Er vermochte sowohl aus der „Vulgata" als auch
aus den neusten deutschen Übersetzungen ausführlich zu zitieren: Die gelegentlichen Askrip-
tionsfehler mögen genau so gut auf das Konto des Ratsschreibers als auf das des evangelisch
gesinnten Bürgers gehen. Mit den Kirchenvätern sieht es dagegen heikler aus, da Frauenfeld
kein promovierter Theologe war. Doch hat unser Bürger die Kirchenväter nicht im Original,
sondern vielmehr nach der im „Decretum Gratiani" befindlichen Zusammenstellung zitiert.
Das „Decretum Gratiani" mag für gewöhnliche Studenten als Einstieg in die Schriften der
Kirchenväter auf,Absolventen-Niveau' gegolten haben; außerdem war es seit dem ausgehenden
15. Jahrhundert im Druck weit verbreitet.11 Damit wären wir von der Verpflichtung be-

Winfried Hagenmaier: Das Verhältnis der Universität Freiburg i. Br. zur Reformation. Untersuchungen über
das Verhalten der Universität und die Einstellung einzelner Professoren und Studenten gegenüber der reformatorischen
Bewegung in den Jahren 1517-1530, Diss., Freiburg 1968, S. 20f.; Albert (wie Anm. 4), S. 37.
Hagenmaier (wie Anm. 8), S. 25; Albert (wie Anm. 4), S. 50 und 52f; StadtAF, B5 XI Nr. 12, Bl.
199r-200r.

Die Urfehde spricht nur von öffentlichen Aussagen; vgl. Albert (wie Anm. 4), S. 42.

Ich verdanke diesen Hinweis meinem Cambridger Kollegen Magnus Ryan. Für die Klärung der Decre-

tum-Zitate bin ich |Prof. Dr. Dieter Mertens zu verbindlichem Dank verpflichtet.

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