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teilte Eugen Selber uns mit: Alle Predigten im Münster werden von der Gestapo abgehört. Auch
Kinder predigten. Er sagte dann: „ Wenn ich da bin, stehe ich im Querschiff des Münsters, dann
seht ihr mich. Ihr könnt dann predigen, was ihr wollt. Es wird nie eine Meldung erfolgen. Wenn
ich aber nicht dort stehe, seid vorsichtig'Selber habe auch verhindert, dass ein Haftbefehl gegen
ihn wegen angeblich abfälliger Äußerungen gegen den nationalsozialistischen Chefideologen
Alfred Rosenberg (1893-1946) im Religionsunterricht der Lessingschule vollstreckt worden
sei. Nach 1945 habe er sich deshalb bei den französischen Militärstellen für Selber verwendet,
und Erzbischof Conrad Gröber (1872-1948) habe ein ähnliches Schreiben dorthin geschickt.13
Anscheinend blieb Selber seinem ursprünglich katholischen Glauben treu und missbilligte
die Angriffe der NSDAP gegen die Kirche und gegen den Erzbischof, als dieser nach anfänglicher
Nähe und trotz Übereinstimmung in manchen Fragen auf Distanz zum Regime gegangen
war.14 Umso mehr verwundert es, dass Selber an der Erstkommunion seiner Tochter am 20.
April 1941 im Münster nicht teilnehmen durfte und lediglich neben dem Hauptportal stehend
den Auszug der Kommunikanten miterleben konnte.15 Dies mag eine Folge davon gewesen sein,
dass er aus der katholischen Kirche ausgetreten war und die Gestapo als ein Instrument des
Regimes gegen die Kirche angesehen wurde. Ingeburg Selber durfte nach Kriegsende nicht mit
anderen Jugendlichen der Münsterpfarrei, zu der sie gehörte, Ferien auf Bauernhöfen verbringen
. Noch heute erinnert sie sich: Das tat weh, weil ich das nie verstehen konnte}6 Im Religionsunterricht
, der in der Adelhauserschule stattfand, hatte sie Schwierigkeiten mit ihrem Lehrer,
dem Prälaten und späteren Generalvikar Ernst Föhr (1892-1976). Föhr war letzter Fraktionschef
Fridolin Burgert, Pfarrer i.R., Schreiben vom 13.4.1988 an mich (eingegangen: StadtAF, Tgb. Nr. 402).
Das Schreiben des Erzbischofs konnte im Erzbischöflichen Archiv nicht aufgefunden werden: Christoph
Schmider, Mitteilung vom 5.5.2014. Auch in Selbers Entnazifizierungsakte ist es nicht enthalten. Zu
Burgert vgl. den Nachruf von Militärdekan a.D. Martin Zeil (1912-1999) in: Freiburger Diözesan-Archiv
111 (1991), S. 349. Danach sorgte er u. a. gegen Kriegsende auf dem Eisenbahnknotenpunkt Immendingen
mehrere Wochen mit Hilfe der Gläubigen für KZ-Häftlinge eines Transportzuges, ein provisorisches
Lazarett mit 200 Verwundeten fand ebenso seine Hilfe, über 500 zusammengeführten Ausländern hat
er zusammen mit seinem evangelischen Mitbruder am 25.4.1945 das Leben gerettet. Vgl. Priester unter
Hitlers Terror. Eine biographische und statistische Erhebung, bearb. von Ulrich von Hehl u. a., Paderborn
usw. 41998, S. 606: Burgert wurde nach der Anzeige durch einen Lehrer mehrfach von der Gestapo
verhört und erhielt „1936 circa sechs Monate Unterrichtsverbot". In seiner Aussage zugunsten Selbers
am 15.1.1947 führte Burgert noch aus, dass aufgrund Selbers Initiative ein geplantes Verfahren vor dem
Sondergericht Mannheim niedergeschlagen und das Unterrichtsverbot aufgehoben worden seien; seine
Tochter habe regelmäßig an den Versammlungen der Frohen Schar, einer katholischen Jugendgruppe,
teilgenommen: Archives de l'Occupation Francaise en Allemagne et en Autriche (AOFAA), Entnazifizierungsakte
Eugen Selber. Ingeburg Selber hat diese Akte 1991 in Colmar eingesehen und mir ihre Notizen
zur Verfügung gestellt. Eine Abschrift der Notizen in: StadtAF, M 2/107. Mir selbst wurde seinerzeit die
Einsichtnahme nicht gestattet. Inzwischen befindet sich das Archiv im Centre des archives diplomatiques
in La Courneuve bei Paris und hat die Signatur: AOFAA, 1BAD 935 Selber Eugen. Heiko Wegmann hat
sie mir zugänglich gemacht, dafür danke ich ihm herzlich.
14 Vgl. Geschichte der Stadt Freiburg (wie Anm. 1), S. 305-307, 309-312 und 324; Roland Weis: Würden und
Bürden. Katholische Kirche im Nationalsozialismus, Freiburg 1994; Die katholische Kirche im Dritten
Reich. Eine Einführung, hg. von Christoph Kösters, Freiburg u.a. 2011. Allgemein: Olaf Blaschke: Die
Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014, zu Gröber S. 168f, 203, 228 und 231. Zu Gröbers
Haltung, auch zu seinem Antisemitismus, siehe: Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen, hg. von
Conrad Gröber, Freiburg 1937.
15 Gespräch mit Ingeburg Selber, 18.2.2014; schriftliche Mitteilungen vom 20.11.2013 und 18.5.2015. Über
das Datum ihrer Erstkommunion ist sie sich nicht völlig sicher.
16 Gespräch mit Ingeburg Selber, 18.2.2014; schriftliche Mitteilung vom 18.9.2014.
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