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Am nächsten Morgen sei der eiserne Kassenschrank aus dem Kellerraum der Synagoge zur
Dienststelle der SS gefahren worden.20
Die Feuerwehr durfte den Brand jedoch nicht löschen, sondern war nur zur Sicherung umliegender
Gebäude anwesend. Nicht eingeweihte Kriminalbeamte wurden daran gehindert, Ermittlungen
anzustellen, und dem Freiburger Oberstaatsanwalt Eugen Weiß (1881-1957) untersagte
sein Vorgesetzter, die Brandstiftung im Sinne des Strafgesetzbuches zu verfolgen. Selber
gab an, ebenso wie seine Kollegen, nicht gewusst zu haben, dass Feuer an die Synagoge gelegt
werden sollte. Es ist durchaus möglich, dass die Gestapobeamten nicht im Einzelnen informiert
wurden. Mit einer anderen Aussage weckt Selber allerdings Zweifel: Mit der Beiholung der
Juden in Freiburg wurden wir nicht beauftragt. Dem widerspricht die Meldung des Freiburger
Gefängnisdirektors an den Generalstaatsanwalt: Am 10.11. wurde ich früh nach 5 Uhr von
der Gestapo angerufen, wieviele Juden ich sofort aufnehmen könne.21 Daraus geht hervor, dass
sich zumindest der Dienststellenleiter der Gestapo spätestens nach der Brandstiftung darüber
im Klaren war, dass eine Anzahl Juden verhaftet werden sollte. Möglicherweise war Selber
bei den Festnahmen der 137 männlichen Juden in Freiburg, bei ihrer Einlieferung in das Gefängnis
und bei ihrem Weitertransport in das Konzentrationslager (KZ) Dachau tatsächlich
nicht dabei, in den mir bekannten Zeitzeugenberichten wird von Polizisten, Detektiven - wohl
Kriminalbeamten - und SA-Leuten gesprochen. Vielleicht handelte es sich bei ihm aber auch
um eine Gedächtnislücke oder eine Schutzbehauptung. Da er nirgends erwähnt wird, ist nicht
auszuschließen, dass er in der gegebenen Situation seine Handlungsspielräume nutzte und sich
nicht aktiv beteiligte.
In Polen
Über Selbers Tätigkeit in den folgenden Monaten liegen keine Unterlagen vor. Der Presse ist
allerdings zu entnehmen, dass er im Sommer 1939 - ebenso wie Maximilian Knecht - als ehemaliger
Soldat im Regiment 113 am Reichskriegertag in Kassel teilgenommen hatte und am
Kameradschaftsappell in Freiburg darüber berichtete.22 Bald kam es für ihn zu einer einschneidenden
beruflichen Veränderung. Im August 1939 wurde er zusammen mit einem Kollegen
nach Wien abgeordnet, um von dort aus mit einer SS-Einheit in das soeben eroberte Polen entsandt
zu werden. Das RSHA teilte ihn dem Kommandeur der Sicherheitspolizei (Sipo) und des
SD in Krakau zu. Er sollte am Unternehmen Tannenberg mitwirken. Bereits ein Jahr später, am
31. Juli 1940 wurde die Abordnung aufgehoben. Ende September trat Selber seinen Dienst in
Freiburg wieder an.23 War Selber an dort verübten Verbrechen beteiligt? Seine verhältnismäßig
StAF, F 176/1 Nr. 968-986, Strafakten 1 Ks 4/1949, Heft 2 (auch im Folgenden bei den Aussagen Selbers
zum 10.11.1938). Zu Traub vgl. Stolle (wie Anm. 10), S. 365 u.ö. Nach Aussagen von Stephan Gutgsell
(1889-1961) war es nicht er, sondern ein anderer, der von oben herunter gerufen und den Brand gemeldet
hat (Hinweis von Heiko Wegmann, 26.6.2015). Diese Unstimmigkeit muss noch aufgeklärt werden.
Ernst Otto Bräunche: Die „Reichskristallnacht" in Freiburg, in: Schau-ins-Land 103 (1984), S. 149-160,
hier S. 153. Vgl. Clausing (wie Anm. 19), S. 261-264 (sie zitiert Zeitzeugenberichte, nach denen auch die
Gestapo Verhaftungen durchführte und Misshandlungen vornahm).
Freiburger Stadtanzeiger, 9.8.1939 (Hinweis von Heiko Wegmann). Früher war Selber Mitglied des Kyff-
häuserbundes gewesen, AOFAA, 1BAD 935. Den 113ern blieb Selber auch nach 1945 verbunden. So
nahm er an einem Volkstrauertag in den 1960er-Jahren am Denkmal des Regiments an einer Gefallenen
-Ehrung teil: Privatarchiv Ingeburg Selber, undatiertes Zeitungsfoto (die ungefähre Datierung ist
durch die Nennung weiterer Personen möglich).
GLA, 465e, Buchungsunterlagen der Gestapo Karlsruhe, Nebenliste Nr. 39.
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