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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2015/0120
rasche Rückversetzung macht allerdings stutzig. Beim Unternehmen Tannenberg handelte es
sich um den Versuch, die politische und gesellschaftliche Elite Polens zu „liquidieren", um ein
für allemal die Führungsschicht auszuschalten. Zugleich sollte gegen die jüdische Bevölkerung
vorgegangen werden.24 Allein im September und Oktober 1939 wurden auf der Grundlage eines
vorweg zusammengestellten Fahndungsbuches rund 20.000 Polen ermordet. Am 6. November
1939 verhaftete eine Einheit des Einsatzkommandos 2 der Sipo-Einsatzgruppe I 183 Angehörige
der Universität Krakau und der Bergakademie. Mehrheitlich wurden sie in das Konzentrationslager
(KZ) Sachsenhausen eingeliefert. Mit der Ausschaltung der Krakauer Hochschullehrer
sollten die Wiedereröffnung der Universität verhindert und zugleich die Zerschlagung der
polnischen wissenschaftlichen Institutionen eingeleitet werden. Zwölf der Inhaftierten starben
im KZ. Die übrigen kamen, nicht zuletzt auf internationalen Druck, nach und nach wieder frei
- bis auf drei jüdische Gelehrte, die ermordet wurden. Dann endete das Unternehmen, wurde
jedoch im Frühjahr 1940 mit der AB-Aktion - der Außerordentlichen Befriedungs-Aktion, mit
der die völkischen Gegner vorbeugend bekämpft werden sollten - fortgesetzt. In diesem Rahmen
erfolgte im Bereich Krakau der Sipo und des SD die Hinrichtung von mindestens 4.000
Personen.25 Ob Selber unmittelbar am Unternehmen Tannenberg oder der AB-Aktion beteiligt
war, ist aus den überlieferten Quellen nicht ersichtlich.

In einem Verhör nach seiner Verhaftung 1945 gab Eugen Selber an, er habe dem Einsatzkommando
II angehört - hier täuschte ihn seine Erinnerung vermutlich - und habe zunächst
in Krakau Nachforschungen nach entwichenen Häftlingen anstellen müssen. Ende September
1939 sei er bereits nach Teschen in Oberschlesien versetzt worden, um sich mit politischen Denunziationen
zu beschäftigen. Mitte Oktober 1939 habe man ihn dann mit einem Kommando
von etwa 15 Mann dem Einsatzort Tarnöw zugeteilt, einer Stadt östlich von Krakau mit damals
rund 53.000 Einwohnern, darunter 25.000 Juden.26 Darüber berichtete er in Vernehmungen 1961
und 1967 genauer. Er wurde als Kurier zwischen den beiden Städten eingesetzt, hatte die Küche
unter sich und auch sonst Aufgaben im Innendienst.27 Nach seiner Erinnerung wurden während

Vgl. Tomasz Szarota: Warschau unter dem Hakenkreuz. Leben und Alltag im besetzten Warschau 1.10.1939
bis 31.7.1944, Paderborn 1985, S. 239; Klaus-Michael Mallmann/Jochen Böhler/Jürgen Matthäus: Einsatzgruppen
in Polen. Darstellung und Dokumentation, Darmstadt 2008 (auch zum Folgenden).
Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen 1939-1945, h. von Werner Präg und
Wolfgang Jacobmeyer (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 20), Stuttgart 1975, S. 26, 211-215
u.ö.; Manfred Alexander: Kleine Geschichte Polens, Stuttgart 2008, S. 312; Jochen August: „Sonderaktion
Krakau". Die Verhaftung der Krakauer Wissenschaftler am 6. November 1939, Hamburg 1997.
AOFAA, 1BAD 935. Möglicherweise war Selber dem Einsatzkommando 4 der Einsatzgruppe I zugeteilt,
so wie seine Kameraden, von denen noch die Rede sein wird. Zu den Vorgängen in Tarnöw während der
deutschen Besatzung Marek Tomaszewski: Tarnöw. Okupacja 1939-1945, Tarnöw 2014 (die Zahl der
Juden stieg bis 1941 auf 40.000 an, S. 123). Melanie Hembera, die in der Forschungsstelle Ludwigsburg
der Universität Stuttgart, Abteilung Neuere Geschichte, arbeitet und eine Dissertation über die Judenverfolgung
in Tarnöw verfasst hat, und Agnieszka Wierzcholska, die eine Dissertation über die Beziehungen
zwischen polnischen Juden und Nichtjuden in Tarnöw von 1918 bis 1956 schreibt, danke ich für Hinweise
zu den Einwohnerzahlen und dem Anteil der jüdischen Bevölkerung von 47 %, der im Vergleich zu anderen
Städten der Umgebung prozentual am höchsten war.

Bundesarchiv Berlin, Außenstelle Ludwigsburg (BA-LB), B 162/19727 (Staatsanwaltschaft Karlsruhe 22
Js 520/60), Vernehmung am 24.3.1961, Bl. 59f. Die Außenstelle übernimmt die Unterlagen der Zentralen
Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Im Entnazifizierungsverfahren
nach 1945 gab Selber noch an, er habe aufgrund seiner Funktion in der Küche Juden,
die in seiner Dienststelle beschäftigt gewesen seien, mit Lebensmitteln versorgt und erreicht, dass sie
nicht entlassen worden seien, AOFAA, 1BAD 935. Seine Funktion wird durch die Aussage Josef Birkens

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