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Mit den Nürnberger Gesetzen 1935 wurden die „Mischlinge" nicht mehr automatisch den
Juden zugerechnet, sondern unterstanden jetzt einer Gesetzgebung eigener Art. Es war ein Nebeneinander
von Bestimmungen integrativer und repressiver Art: Einerseits konnten sie im
Heeresdienst verbleiben ohne allerdings Vorgesetzte zu werden. Andererseits waren ihnen Ehen
mit „arischen" Partnern nicht erlaubt.
Mit der 1938 getroffenen Unterscheidung der beiden Arten von „Mischehe" waren auch die
Kinder Begünstigte oder Opfer der Maßnahmen. So mussten sie, sofern sie älter als sechs Jahre
waren und dem jüdischen Glauben angehörten, den „Judenstern" tragen und dieselben Repressalien
wie ihre Eltern erleiden.
In den ab Anfang 1942 stattfindenden und mit der „Endlösung der Judenfrage" beauftragten
Konferenzen konnten sich die Teilnehmer erneut nicht auf eine definitive Lösung in der „Mi-
schlings"-Frage einigen. Alle radikalen Vorschläge - Sterilisation, Evakuierung in ein grenznahes
Gebiet, Deportation als Juden, Verbleiben im Reich - wurden verworfen und stattdessen
die „Sondergesetzgebung" verschärft: So verbot man ihnen ab Juli 1942 den Besuch weiterführender
Schulen nach dem 14. Lebensjahr und die Aufnahme beim Wehrdienst. Ein Jahr später
- in Freiburg erst Mitte 1944 - mussten sie und „jüdisch Versippte" damit rechnen, überall im
Reich und in den eroberten Gebieten für Arbeiten der Organisation Todt (OT) eingesetzt zu werden
. Offenbar waren die Zwänge, die der Kriegsverlauf den Verantwortlichen jetzt auferlegte,
entscheidender als das Beharren auf einer rassenideologisch begründeten Ausrottungspolitik.
Aber die Betroffenen befanden sich in den sehr oft gefährlichen Kommandos der OT wieder an
vorderster Front und mussten ähnlich um ihr Überleben bangen wie diejenigen aus „nicht-privilegierten
Mischehen", die wegen ihres jüdischen Bekenntnisses im Februar 1945 nach Theresi-
enstadt deportiert wurden.14
Fritz und Else Geismar - eine „privilegierte Mischehe" aus Freiburg
Fritz Geismar, 1896 als Sohn jüdischer Eltern in Vöhrenbach geboren, erlernt nach der Mittleren
Reife im elterlichen Textilgeschäft seines Vaters in Freiburg den kaufmännischen Beruf. Nach
Abschluss der Lehre nimmt er als Infanterist am Ersten Weltkrieg teil. 1921 heiratete er Else,
geb. Reich, evangelischen Glaubens. Dem Ehepaar wird 1939 nach 18 Jahren der lang ersehnte
Sohn Klaus geboren.15
Im Jahre 1921 tritt Fritz Geismar als Expedient bei der Firma MEZ in Freiburg ein, verliert
seine Stellung jedoch 1931 infolge der allgemeinen Wirtschaftskrise und fällt in die Arbeitslosigkeit
. Mit Antritt der neuen Regierung 1933 sinken seine Chancen drastisch, als Jude - selbst
mit der klassischen Ausbildung als Kaufmann - eine Anstellung zu bekommen. Ab März 1934
übernimmt ihn jedoch die jüdische Firma Weinheim, Garngroßhandlung in der Talstraße, als
Faktotum für alles - er ist Packer und Ausläufer und manchmal sogar Kaufmann.
Offensichtlich hat Geismar diesen Posten aus sozialer Rücksichtnahme erhalten, denn die
Geschäfte bei Weinheims verlaufen zu diesem Zeitpunkt infolge der antijüdischen Diskriminierungen
bereits rückläufig. Der Tod ihres Mannes 1938 und die in vollem Gang stehende
Arisierungswelle zwingen Frau Weinheim zum Verkauf des Unternehmens. Für einen kurzen
Zu den einzelnen Phasen: Meyer (wie Anm. 2), S. 96ff.; Adam (wie Anm. 10), S. 222ff; Michaela Raggan
: „Mischlinge" und „Geltungsjuden", in: Alltag im Holocaust, hg. von Andrea Low, Doris L. Bergen
und Anna Hajkova, München 2013, S. 92ff. Zur Organisation Todt: Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 2,
Berlin 1993, S. 1071f. (Stichwort OT).
StAF, F 196/1, Nr. 1871 (Fritz Geismar); ebd., F 196/2 , Nr. 2575 (Else Geismar).
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