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Quelques itineraires qui ont fagonne VEurope („Reisewege, die Europa geprägt haben") gut in
das Lehrprogramm des College (so die hausinterne Bezeichnung) passe. Er erkundigte sich, ob
er bei nächster Gelegenheit den Professoren vorschlagen dürfe, mich auf die Chaire europeen-
ne1 zu berufen, den , Europalehr stuhl' dieser altehrwürdigen Einrichtung. Ich habe nicht lange
überlegt. Im Frühjahr 1993 habe ich mich im College, in unmittelbarer Nähe des Lycee Louis-le-
Grand, Monsieur Zemb vorgestellt und einen liebenswürdigen, rührigen, vielseitig gebildeten
und interessierten Wissenschaftler kennengelernt.8 Geboren in Erstein (Unter-Elsass), hat J.-M.
Zemb in Frankreich und Deutschland studiert, in Hamburg, Paris, Besangon und wieder in Paris
gelehrt. Perfekt zweisprachig, hat er zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht9 und
Vorträge gehalten; mehrfach hat er zu aktuellen Fragen Stellung genommen, etwa zur ,Reform'
der deutschen Rechtschreibung.10 Manches aus seiner Schulzeit im annektierten Elsass hat er in
Gespräche einfließen lassen. So war er Mitschüler von Erika Heimpel, einer Tochter des Historikers
Hermann Heimpel (1901-1988), der zeitweise in Freiburg studiert und von 1941-1944 an
der ,Reichsuniversität' in Straßburg gelehrt hat. 1944 wird Jean-Marie Zemb das ,Notabitur'
erhalten haben.11 Wie Abertausende seiner Landsleute wurde er eingezogen, konnte aber fliehen
. Ich habe mich seinerzeit nicht getraut, nach Einzelheiten zu fragen - was ich heute bedaure.
Über die Familie Ober in Colmar haben meine Frau und ich die Familie Trautmann in
Thann kennengelernt. Jean-Marie, mit dem wir seit Langem per ,Du' sind, ist diplomierter Chemiker
, ein Mann mit weitem Horizont, Interesse an den Geschicken Frankreichs, Deutschlands
und Europas, ein Helfer notleidender Ukrainer (spätestens seit der Tschernobyl-Katastrophe,
1986) und Philippiner. Als ich ihm einmal zu seiner vorzüglichen Zweisprachigkeit gratulierte,
meinte er, Deutsch habe er von seiner Mutter gelernt, einer Deutschlehrerin - und als begeisterter
Karl-May-Leser in Schülertagen. Habe ich einen Text auf Französisch vorzulegen, gibt er
meiner Fassung in kurzer Zeit den druckreifen Schliff.
Im Jahr 2010 hat Jean-Marie meiner Frau und mir eine Einladung der Alliance Frangaise
in Thann vermittelt; diese Einrichtung will in Frankreich und im Ausland die französische
Sprache fördern. Wir haben referiert über Les jeunes en Allemagne dans les annees 40, im An-
schluss an ein gemeinsam verfasstes Buch.12 Für uns war es eine Premiere, mit verteilten Rollen
auf Französisch zu sprechen - zudem im Festsaal des Rathauses, unter einem Bild, das General
Seilschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen, Bd. 1 (Grundlagen der Romanistik 7),
Berlin 1981, S. 160f.
Eingerichtet 1989; dazu kam 1992 die chaire internationale. Beide wurden jeweils für ein Jahr besetzt.
Der Europalehrstuhl war nichtfranzösischen Wissenschaftlern aus einem europäischen Land, der internationale
Lehrstuhl Gebildeten außereuropäischer Länder vorbehalten.
Vgl. Norbert Ohler: Brückenbauer. Zur Erinnerung an Jean-Marie Zemb (1928-2007), Elsässer, Germanist
, Professor am College de France, Mitglied der Academie des siences morales et politiques, in:
Jahrbuch der Hambach Gesellschaft 2008, S. 95-111.
Genannt seien: Aristoteles in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Dargestellt von Jean-Marie Zemb
(rowohlts monographien 63), Reinbek bei Hamburg 1961 u.ö., in mehrere Sprachen übersetzt. Vergleichende
Grammatik Französisch-Deutsch, Mannheim/Wien/Zürich, Bd. 1, 1978 und Bd. 2, 1984. Vergleiche
die Würdigung Zembs von Michel Zink, Prof. am College de France, in: La lettre du College de
France Nr. 21, Dezember 2007, S. 53f.
Vgl. etwa Jean-Marie Zemb: Erbfreundschaft hört bei der Sprache auf. Deutsch und Französisch vierzig
Jahre nach dem Elysee-Vertrag. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.01.2003, Nr. 15, S. 36.
Dieses wurde nach dem Krieg im Elsass als Zugangsberechtigung zu einem Hochschulstudium anerkannt
, in Deutschland im Allgemeinen erst nach Absolvierung eines ,Förderkurses4.
Annemarie Ohler/Norbert Ohler: Kinder und Jugendliche in friedloser Zeit. Aus deutscher Geschichte
1939 bis 1949, Münster 22010.
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