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so ist die Akkulturation als Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft unter Beibehaltung eigener
, spezifischer Merkmale zu verstehen. Dies wurde im U.O.B.B. beabsichtigt. Im Bestreben
um die jüdische Akkulturation lässt sich dabei ein Wandel in der Tätigkeit des Ordens ausmachen
: Während sich dieser im Kaiserreich vermehrt Akkulturationsbemühungen, wie etwa eine
Berufsumschichtung der badischen Juden, widmete und seine Hilfstätigkeit vornehmlich in der
Unterstützung der osteuropäischen Pogromopfer sah, so lässt sich für die Zeit der Weimarer
Republik feststellen, dass in erster Linie die Förderung der jüdischen Kultur und Institute in
Deutschland und die Wohltätigkeit nach innen verstärkt wurde.
Der vorliegende Artikel beruht auf dem Quellenbestand der Breisgau Loge, der seit Ende
des Zweiten Weltkrieges vollständig im sogenannten „ Sonder archiv" in Moskau verwahrt wird.
Dort sind nicht nur die Akten der Freiburger Loge, sondern auch die aller deutschen Tochterlogen
und der Großloge aus Berlin zu finden. Vor dem Hintergrund der schlechten Quellenlage
zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik - die meisten der Akten der jüdischen
Gemeinde gingen beim Brand der Freiburger Synagoge 1938 verloren - ist der Fund der Logendokumente
umso bedeutender. Wie erwähnt war ein großer Teil der jüdischen Gemeinde
- darunter führende Persönlichkeiten - gleichzeitig Mitglied der Breisgau Loge, sodass durch
die Untersuchung der Logentätigkeiten auch Rückschlüsse auf das jüdische Kulturleben in der
Stadt gezogen werden können.
Der deutsche Distrikt des U.O.B.B.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildeten sich spezifisch jüdische Vereine: Zum einen als Reaktion
auf den erstarkenden Antisemitismus und die damit verbundene Ausgrenzung der Juden
aus dem allgemeinen Vereinswesen, zum anderen infolge des Wandels der jüdischen Identität.5
Diese Wendung zeichnete sich dadurch aus, dass die Gemeindezugehörigkeit bei vielen Juden
für das außerreligiöse Leben an Bedeutung verloren hatte. Sie wurde zugunsten von jüdischen
Vereinigungen ersetzt, in denen die Konfession durch eine neue ethnische Auffassung substituiert
wurde, die Juden als eine einheitliche Volksgruppe verstand.6 Till van Rahden prägte für
die deutschen Juden im Kaiserreich den Begriff der „ethnischen Gemeinschaft", die sich durch
die Vorstellung einer gemeinsamen Abstammung und Kultur auszeichne und auf der Erfindung
einer eigenen Tradition beruhe. Wichtig ist dabei, dass die Ethnizität keine unveränderliche
Religion, Tradition oder Kultur definieren soll, sondern sie ist vielmehr als „eine kulturelle
und soziale Grenzmarkierung [zu verstehen], die Zugehörigkeit oder Ausschluss signalisiert."7
Grenzen spielen in dem Konzept somit eine zentrale Rolle; sie sind meist nur schwach ausgebildet
und erlauben so einen grenzüberschreitenden Sozialkontakt. Die Zugehörigkeit zu einer
ethnischen Gruppe schließt durch ihren überschreitenden Kontakt damit auch keine Loyalität
gegenüber anderen Gruppen aus.
Dieses ungewohnte, säkular geprägte Verständnis von Judentum wurde von den neu entstandenen
Organisationen wie dem B nai B nth Orden bedient. Dessen Ursprung geht auf die
deutsch-jüdischen Einwanderer in Amerika zurück, die sich zur gegenseitigen Unterstützung
und zur Förderung zusammengeschlossen hatten und 1842 in New York den „Independent Or-
Reinke (wie Anm. 3), S. 318.
Shulamit Volkov: Antisemitismus als kultureller Code, München 220 00, S. 134.
Till van Rahden: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken
in einer deutschen Großstadt von 1860-1925 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 19),
Göttingen 2000, S. 20.
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