http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2017/0069
Und die Spaltung der Christenheit? Was katholische Christen von protestantischen damals
und bis vor zwei Generationen trennte, waren wie „Marker" der verbotene „Laienkelch", das
Latein in der Liturgie, das strenge Fastengebot oder das Angelusläuten, das Fegefeuer und die
Osterbeichte. Was davon trennt uns noch heute? Der „Weltbürger" Erasmus, dem man vorwarf,
er habe das Ei gelegt, das Luther ausbrütete, hat im vorletzten Jahr seines Aufenthaltes hier
in Freiburg eine Schrift über die Heilung der Concordia (d.h. die innere Einheit) der Kirche
verfasst, deren Wirkungen Peter Walter eingehend untersucht hat: „De sarcienda ecclesiae concordia
" (Freiburg 1533, vgl. Abb. 7). Erasmus bezeichnete die Spaltung als schwere, aber nicht
unheilbare Erkrankung der Kirche. Und in einem Brief an den neuen Papst Paul III. schrieb
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er 1535: Es gibt Uberzeugungen, bei denen es erlaubt sein sollte, verschiedener Meinung zu
sein, ohne dass dadurch der Frieden in der Christenheit zerstört würde.26 Man müsse nur die
Adiaphora (= Nebensachen) außer Acht lassen, um sich zu versöhnen. Im Besitz einer absoluten
Wahrheit zu sein, konnte keiner für sich in Anspruch nehmen, auch Erasmus nicht.
Sollte das Reformationsjubiläum 1517-2017 dazu führen, dass sich die Christen aus
der Glaubensspaltung befreien, dann könnte die res publica christiana, das „Gemeinwesen
Christenheit", wieder das werden, was die Kirche bis vor 500 Jahren war: Eine plurale, eine
dynamische Einheit in einer wahren con-cordia, einer Eintracht des Herzens.27
Brief vom 23. Februar 1535 aus Freiburg, in: Erasmus von Rotterdam. Briefe, verdeutscht und hg. von
Walther Köhler, Bremen 1956, S. 559-561, hier S. 561. Erasmus verweist in diesem Zusammenhang auf
einen Satz im Philipperbrief: „Und wenn ihr anders über etwas denkt, wird Gott euch das offenbaren."
Phil. 3,15.
Geringfügig ergänzter Text meines Vortrags am 19. Juni 2017 in der Stube des Breisgau-GeschichtsVereins
„Schau-ins-Land"
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