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1856 kam Prokesch als Gesandter in die osmanische Hauptstadt Konstantinopel, wo er 1867
zum Botschafter an der „Hohen Pforte"132 wurde. Während die Athener Jahre ebenso wie die
in Konstantinopel verbrachte Zeit eine herausragende Rolle in Prokeschs Leben spielten, ist er
hingegen in Berlin nie heimisch geworden. Als seine wohl wichtigste diplomatische Handlung
der Berliner Jahre kann angesehen werden, dass er im Jahr 1850 einen Krieg zwischen Preußen
und Osterreich verhinderte.133 In diese Jahre fallen auch die bedeutenden Kontakte Prokeschs
zu führenden Wissenschaftlern wie etwa Alexander von Humboldt, mit dem ihn eine innige
Freundschaft verband.134
Prokesch war nicht nur ein bedeutender Diplomat, sondern auch ein herausragender
Gelehrter. Diese Seite von Prokesch kommt in einer Beschreibung zum Ausdruck, in der die
unterschiedlichen Persönlichkeiten Bismarcks und Prokeschs einander gegenüber gestellt werden
. Zu dem Verhältnis der beiden schreibt Helmut Rumpier: „Mit Prokesch und Bismarck
standen einander in Frankfurt nicht bloß zwei politische Rivalen gegenüber. In ihnen waren die
beiden so unterschiedlichen Welten Österreichs und Preußens vollendet personifiziert. Beide
waren erfahrene Diplomaten und Kenner der europäischen Verhältnisse. Aber Bismarck blieb
immer ein Junker, für den Politik ein Kampf um die Macht war. Prokesch, der auch in Berlin
hochangesehene Archäologe und Orientalist, persönlicher Freund Alexander von Humboldts
und Schopenhauers, war hingegen auch als Politiker ein Gelehrter, dem die Politik nicht alles
bedeutete. Prokesch war der letzte konsequente Vertreter jener Metternich-Gentzschen Ideen
vom Vorrang des Staates vor der Nation, der Notwendigkeit einer föderativen Organisation
Europas, vom Primat der Staatengesellschaft vor den Einzelstaaten, von der Beschränkung
der Einzelstaaten durch die europäische Gemeinschaft. Für den ,Ostelbier' und preußischen
Machtrealisten Bismarck war nicht nur das persönliche Erscheinungsbild des österreichischen
Weltmannes eine tägliche Provokation, sondern auch dessen politisches Programm."135
Prokesch hielt Kontakt zu führenden Persönlichkeiten seiner Zeit und nahm am gesellschaftlichen
und kulturellen Leben des jeweiligen Landes teil. So pflegte er etwa in seiner
Sommerresidenz in Bükükdere bei Konstantinopel engen Kontakt mit Wissenschaftlern,
Literaten136 und Reisenden. Prokesch selbst verfasste in dieser Zeit eine Schrift über seine Jahre
in der osmanischen Hauptstadt, mit deren Überarbeitung er bis zu seinem Tod beschäftigt war.137
Historisches Hauptwerk Prokeschs ist seine sechsbändige „Geschichte des Abfalls der Griechen
vom Türkischen Reiche".138
132 Der Begriff „Hohe Pforte" (die seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gebräuchliche Bezeichnung
des Eingangstores zum offiziellen Amtssitz des Großwesirs) wird von Prokesch in seinen Briefen oft als
Synonym für die osmanische Außenpolitik verwendet.
Bertsch (wie Anm. 63), S. 331.
Vgl. Bertsch (wie Anm. 63), S. 337, Anm. 64: Verweis auf undatierte Schreiben von Humboldts an Prokesch
.
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137
Helmut Rumpler: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der
Habsburgermonarchie (Osterreichische Geschichte 8: 1804-1914), Wien 1997, S. 389.
Der dänische Dichter und Schriftsteller Hans Christian Andersen (1805-1875) war 1841 zu Gast bei der
Familie Prokesch in Athen, vgl. Aus Andersens Tagebüchern, Bd. 1, hg. und übersetzt von Heinz Barüske,
Frankfurt a.M. 1980. S. 287.
Anton Prokesch von Osten: Sechzehn Jahre in Konstantinopel Anfang 1856 bis Anfang 1872, unveröff.
Manuskript; Bertsch (wie Anm. 63), S. 368.
138 Anton von Prokesch-Osten: Geschichte des Abfalls der Griechen vom Türkischen Reiche im Jahre 1821
und der Gründung des Hellenischen Königreiches. Aus diplomatischem Standpuncte, Bd. 1-6, Wien 1867.
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