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wurden, muss offen bleiben.15 Er fotografiert die Szene, als eine der beiden „Zigeunerinnen",
beobachtet von den Personen in Tracht, einem der deutschen Soldaten etwas anbietet, worauf
dieser verlegen lächelnd reagiert.
Karl Müller wollte, so interpretiere ich das Foto in seinem Zusammenhang, im Rahmen seines
Auftrages das keineswegs feindselige Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten zeigen
und dabei Besonderes hervorheben. Deshalb fotografierte er die (angebliche) „Normalität" im
Zusammenleben während der Festveranstaltung. Die Begegnung zwischen deutschen Soldaten
und „Zigeunerinnen" war etwas Besonderes für ihn. Anders als die meisten sonst bekannten
Aufnahmen von Fotografen der Propagandakompanien,16 zeugt das Bild nicht von einem rassistischen
Verständnis der „Zigeuner". Die beiden Frauen werden nicht entwürdigend oder unterwürfig
dargestellt. Und doch spiegelt das Foto eine Vorstellung wider, die „Zigeuner" als
exotisch begreift.
Seit Jahrhunderten hatte sich in Deutschland ein „Zigeunerbild" herausgebildet. In ihm verband
sich Verachtung für die angebliche Heimatlosigkeit des „ewig wandernden Zigeuners", für
Elend, Bettelei, Primitivität und Kriminalität mit Faszination für die Freiheit der „Fahrenden",
für die Ekstase der Musiker und für die vermeintlich ungezügelte Sinnenfreude. Die verführerische
„Zigeunerin", die als Wahrsagerin und Handleserin vielfach die Naivität der nach ihren
Zukunftsaussichten fragenden Menschen ausnutze, ist ein bildliches Darstellungsmuster, das
immer wieder auftaucht. Die romantische Verklärung, in der sich auch verborgene Wünsche
ausdrücken, die im bürgerlichen Leben nicht verwirklicht werden können, vermischt sich mit
der Abwehr der Bedrohung durch das „Fremde".17
Karl Müllers Foto bedient dieses Klischee. Das Verhalten, die Handbewegung der
„Zigeunerin" entspricht der Bildtradition, und es ist nicht auszuschließen, dass sie sogar be-
wusst das Klischee nutzt: Will sie dem Soldaten ein Amulett geben, das ihn im Krieg schützen
Vgl. Ulrich P. Ecker: Freiburg und die NS-Verfolgung der Sinti und Roma, in: Schau-ins-Land 130
(2011), S. 129-136; Max Matter: Zur Lage der „Zigeuner" in Baden vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis
zur Weimarer Republik, in: 60 Jahre. Vergangen, verdrängt, vergessen?, hg. von der Stadt Herbolzheim
und dem Landesverband der Sinti und Roma Baden-Württemberg, Redaktion: Bertram Jenisch (Her-
bolzheimer Blätter 5), Herbolzheim 2003, S. 117-132. Zur rassischen Einstufung der „Zigeuner" und zu
Freiburg als einem Zentrum der „Rassenhygiene" siehe u. a. Haumann (wie Anm. 1), hier bes. S. 32-34,
62, 66 und 81 (der hier erwähnte Adolf Wurth [1905-?] stammte aus Bonndorf, legte das Abitur in Freiburg
ab und studierte zunächst hier bei dem Eugeniker und „Rassenforscher" Eugen Fischer [1874-1967].
Ab 1936 arbeitete er in der „Rassenhygienischen Forschungsstelle" und führte entsprechende Untersuchungen
auch an „Zigeunern" in Freiburg durch). Die Tätigkeit als „Rassenhygieniker" spielt auch eine
Rolle bei der Diskussion um Straßennamen in Freiburg, etwa im Fall von Alfred Hegar (siehe Badische
Zeitung, 26.10.2016). Dass auch integre Persönlichkeiten nicht frei von Vorurteilen und vom „rassistischen
Zeitgeist" sein konnten, zeigt [Karl Siegfried] Bader: Bekämpfung des Zigeunerunwesens (Bericht
über das Ergebnis einer 1934 durchgeführten Zigeunerkontrolle), in: Kriminalistische Monatshefte
9 (1935), H. 12, S. 265-268.
Vgl. Reuter (wie Anm. 9), S. 258-285. Er erwähnt auch Karl Müllers Foto, das für ihn insofern eine
Ausnahme darstellt, als es das einzige bislang bekannte ist, das nicht von „Zigeunern" in Ost- oder Südosteuropa
aufgenommen wurde, ebd., S. 271 mit Anm. 531.
Haumann (wie Anm. 1), S. 24-26, mit weiteren Nachweisen; ausführlich Reuter (wie Anm. 9), bes. S.
67-73, 88-92 und 97-111. Zur Tradition vgl. etwa Johann Wolf: Neues Buchstabir- und Lesebuch: zur
Beförderung der Entwiklung des Verstandes für niedere besonders aber für Landschulen, nebst einer
kurzen Anweisung für Aeltern und Lehrer zum Gebrauch desselben, Nürnberg 1799, Buchstabe Z (siehe
Pictura Paedagogica Online: http://bbf.dipf.de/virtuellesbildarchiv/index.html, Eingabe: „Zigeuner"
[10.11.2016]).
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