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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2017/0181
ähnliche Schicksale gegeben haben. Ob die nachfolgende Generation im Elsass (und auf der deutschen
Seite) in nennenswertem Ausmaß solche grenzüberschreitenden, deutsch-französisch-internationalen
Biographien wie die von Charlotte Esch lebt, ist fraglich. R. Johanna Regnath

Gerhard Fritz: Geschichte der Sexualität. Von den Anfängen bis zur Gegenwart - Südwestdeutschland
und seine Nachbargebiete, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher u.a. 2016, 488 S., zahlr. S/W-Abb.

Dieses offensichtlich mit Eifer und großer Begeisterung für das Thema gründlich recherchierte Buch
breitet auf 488 Seiten (inklusive immerhin 66 Seiten ausführlicher Anhänge) eine Geschichte der Sexualität
in Südwestdeutschland aus, die in ihrer Fülle und Detailversessenheit wohl einzigartig ist. Zahlreiche
kommentierte S/W-Abbildungen runden die Ausführungen ab.

Um es vorweg zu sagen: Wer sich an Formulierungen stört wie „Darstellungen von Männern, die ihr
nacktes Hinterteil und ihre Genitalien zeigen, kommen im Mittelalter immer wieder vor - hier auf einem
Kalenderblatt aus dem 16. Jahrhundert, in noch drastischerer Form am alten Rathaus in Köln, wo der
Mann - in wenig bequemer Körperhaltung - seinen eigenen Penis im Mund hat" (S. 34), sollte um dieses
Buch besser einen Bogen machen.

Von der vorrömischen Zeit bis in die Gegenwart werden fast alle vorstellbaren Spielarten menschlicher
Sexualität abgehandelt - offenherzig, aber anspruchsvoll. Der Autor nimmt zwar kein Blatt vor den
Mund und gerät durchaus einmal ins Plaudern, wird aber (fast) nie frivol und behält den wissenschaftlichen
Anspruch stets im Auge.

Gleich im Vorwort wird erklärt, warum sich der Text auf den Südwesten Deutschlands beschränkt.
So sei eine europaweite oder gar globale Geschichte „der" Sexualität aufgrund kultureller, religiöser und
anderer Unterschiede gar nicht möglich. Aber dann doch: ,,[D]ie südwestdeutschen Adelsgeschlechter
und Volksbräuche [dienen] als exemplarische Folie für eine allgemeine Geschichte der Sexualität" (S. 4).

Anhand des detaillierten Inhaltsverzeichnisses kann der Leser dann entscheiden, ob er diese Geschichte
der Sexualität chronologisch angehen möchte oder sich herauspickt, was ihm interessant erscheint
. Los geht es in den „frühen Epochen". Außer genetisch bewiesenen Sexualkontakten zwischen
Homo sapiens und Homo neanderthalensis, Funden wie Höhlenmalereien und Geschlechtsorgane hervorhebende
Skulpturen bleibt in Ermangelung von schriftlichen Überlieferungen eine Sexualtheorie für die
Vorzeit spekulativ. Die Römerzeit wartet dagegen mit explizit pornographischen Darstellungen auf, man
denke nur an die Funde in Pompeji. Die „Trendwende durch das Christentum" (S. 21) läutet eine durch
Forderung nach Jungfräulichkeit und sexuelle Enthaltsamkeit bestimmte Epoche ein. Diese gefühlt „sexualfeindliche
" Gesellschaft lädt natürlich zu allerhand buntem Treiben im Geheimen ein, und so erfährt
der geneigte Leser im Folgenden so einiges über Lust und Laster von Adel, Klerus, Bürgertum, Bauern
und diversen Volksgruppen während des Mittelalters, der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Durch
zahlreiche belegte Fallbeispiele wird ein facettenreiches Bild der verschiedenen Epochen gemalt. So geht
es nicht immer nur um Sex, sondern auch um alles, was er so mit sich bringt: Krankheiten, Rechtsfragen
, Prostitution, Massenvergewaltigungen als Kriegsmittel, religiöse Unvereinbarkeiten bis hin zur
sogenannten „Sexuellen Revolution". Was hier (weil sehr stark verkürzt) kolportagehaft wirken mag, ist
eine ausführliche, detailverliebte, mal vergnügliche, mal schmerzhafte Reise durch die Jahrhunderte, die
einem oftmals die Augen öffnet.

In jedem Fall wird hier historisch und wissenschaftlich fundiert sehr unterhaltsam und erfrischend
offenherzig über einen der wichtigsten Bestandteile des menschlichen (Zusammen-)Lebens referiert,
über den selbst in unserer scheinbar übersexualisierten Zeit (siehe Internet, TV, Werbung etc.) oftmals
nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. So kann man anhand dieser Lektüre nicht nur über die
Geschichte der Sexualität etwas lernen, sondern auch von ihr, und mittels dieser gewonnenen Kenntnisse
seine eigene Toleranz bzw. Toleranzbereitschaft auf den Prüfstein legen. Und das ist es doch, was Sachliteratur
im besten Falle leisten sollte: Die vermittelte theoretische Grundlage befähigt zu (kognitiver)
Reflexion. „Sex sells", möchte man diesem Band und dem Autor wünschen. Boris Kramb

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