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Der Wunschlose - Prinz Max von Baden und seine Welt. Begleitband zur Ausstellung des Landesarchivs
Baden-Württemberg in Kooperation mit Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, hg. von
Konrad Krimm, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016, 232 S., zahlr. Farb-Abb.
Wie begegnet man einem, wie erfasst man einen „Wunschlosen"? Und dann noch, wenn man sich ausdrücklich
nicht „zu Gericht setzen" will, denn „um mehr als Verstehen soll es nicht gehen". Nicht in einer
monographischen Biographie soll die Annäherung an Prinz Max von Baden, den letzten Kanzler des
Kaiserreichs, gelingen, sondern Konrad Krimm und seine Mitautoren haben in Einzelaufsätzen versucht,
mit Hilfe seiner Korrespondenz Einblick in dessen Umfeld zu erlangen.
Das ungewöhnliche Konzept des Begleitbandes zu der gleichnamigen Ausstellung ist Ergebnis der
archivarischen Erfassung und Aufarbeitung des 2.000 Einzelakten umfassenden Nachlasses von Prinz
Max von Baden, der sich seit 2014 als Leihgabe des Hauses Baden im Generallandesarchiv Karlsruhe
befindet und von Konrad Krimm, Archivdirektor i. R., aufgearbeitet wurde.
Den vier einleitenden sachthematischen Aufsätzen, „Eine schwierige Biographie", „Prinz Max von
Baden und die Kriegsgefangenenfürsorge im Ersten Weltkrieg", „Max von Badens Reichskanzlerschaft"
und „Prinz Max von Baden und die Gründerjahre der Schule Schloss Salem", schließen sich 23 knapp
gehaltene Skizzen über ausgewählte Briefpartner an. Zu Wort kommen Verwandte, Freunde, Mentoren,
politische Mitstreiter und Gegenspieler durch ein briefliches Zitat, eingebettet in einen knappen biographischen
Abriss über die Persönlichkeit und Einordnung ihrer Haltung zu und Bedeutung für Prinz Max.
Gegliedert wird diese Vielfalt an Meinungen und Persönlichkeiten in drei chronologisch aufeinander
folgenden Kapiteln.
Die Palette der brieflichen Korrespondenz ist ungewöhnlich breit, sie reicht von „ganz rechts bis
in die linke Mitte", bewegte sich der Prinz doch in verschiedenen Welten gleichzeitig: im europäischen
Hochadel, im Militär, in der kulturellen, künstlerischen wie intellektuellen Auseinandersetzung. Durch
seine Fähigkeit, sich so vielen Meinungen öffnen zu können, vereinigt sich hier extrem Gegensätzliches.
Seine tiefe Verehrung für den rassistischen Houston Stewart Chamberlain hinderte ihn nicht daran, über
Jahre vertrauensvoll mit Kurt Hahn, seinem politischen Berater, Lektor seiner „Erinnerungen und Dokumente
" und Leiter „seiner" Internatsschule Schloss Salem, der von jüdischer Herkunft war, zusammenzuarbeiten
.
Auch wenn die Beschäftigung mit Prinz Max ausdrücklich nicht nur auf die sechswöchige Kanzlerschaft
verengt werden sollte, so stand doch sein politischer Deckname, „Der Wunschlose", Pate für
das aktuelle Projekt. Vom Sommer 1917 bis zum Herbst 1918 beriet sich Prinz Max mit Anhängern und
Freunden, „der Gruppe", über Möglichkeiten seiner Kanzlerschaft und immer neue Wege der Kriegsbeendigung
. In diesen Geheimverhandlungen wurden auch politische Gegenspieler, spätere Kabinettmitglieder
und Militärs mit Decknamen getarnt, wie z. B. „der Verwandte" (Kaiser Wilhelm IL), „der
Onkel" (Erich Ludendorff), „der Neffe" (Hans von Haeften), „der Dicke" (Wilhelm Solf) usw.
Ebenso unterschiedlich wie die Persönlichkeiten seines Umfelds waren auch die Projektionen, die
auf den Prinzen gerichtet wurden; galt er doch als selbstloser Diplomat, versteifter Monarchist, Entscheidungsschwacher
, Verräter am Kaiser und zugleich Verräter am politischen Fortschritt. Man ahnt,
dass diese sehr unterschiedlichen Projektionen fast noch mehr über das Umfeld aussagen als über den
Prinzen selbst. Wie viele Zeitgenossen seiner Epoche, dieser „nervösen Epoche" am Ende einer alten
Gesellschaftsordnung, taumelte auch er zwischen ästhetischer Sinnsuche (Wagnerkreis), Suchen nach
Erlösung (im Gefolge von selbsternannten Propheten wie Johannes Müller) und Verzweiflung über den
Zusammenbruch der alten Sinnordnung. Damit vertreten er wie auch seine vorgestellten Briefpartner geradezu
exemplarisch „eine ganze Generation, die den militärischen und den politischen Zusammenbruch
Deutschlands erlebte, ohne darauf wirklich vorbereitet gewesen zu sein".
In der ansprechenden Aufmachung des Begleitbandes wird die Einteilung in unterschiedliche Kapitel
und Essays durch farbige Markierungen auch optisch gegliedert. Zudem werden die Texte durch zahlreiche
Abbildungen von Plakaten, Schriftstücken, zeitgenössischen Porträtfotografien, Gemälden und
dem jeweiligen Abdruck eines Briefes an oder über Prinz Max, inklusive Transkription, illustriert. Neben
Angabe des Quellenapparates ist die aufgeführte Sekundärliteratur klug ausgewählt und beschränkt sich
auf den biographischen Bezug der Hauptfiguren. Mona Djabbarpour
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