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für eine hier und da intendierte Verschränkung antiker und christlicher Ausdruckswerte, wie
sie im Kirchenbau der Zeit allgegenwärtig ist. Kein Geringerer als Andrea Palladio, der bedeutende
italienische Architekt des 16. Jahrhunderts, sollte ihr im Bewusstsein der Neuzeit mit dem
Tempelcharakter seiner Kirchenfassaden den Weg bahnen. Mit der Renaissance auch wurden
im Zuge der neuzeitlichen Erkundung unseres Planeten vermehrt „Weltkugeln" hergestellt und
zwar dergestalt, wie auf dem Rinderle-Grabmal nachempfunden. Eingehängt in ein Standgestell
ließen sich solche Erdbälle im Hin- und Herdrehen rundum studieren.4 Indem nun hier die
Stützen eines solchen Mehrfußes dorischen Säulen nachgebildet sind, wird einmal mehr auf
die Architektur des Klassizismus um 1800 verwiesen und noch direkter Bezug genommen auf
die französische Revolutionsarchitektur. Claude-Nicolas Ledoux und Etienne-Louis Boullee
sind die Hauptvertreter dieser neuerungsbewussten Auffassung von Architektur, die unter dem
Gesichtspunkt formaler Gestaltung klare geometrische Raumgebilde zum vielsagenden Ausdruckswert
einer neuen Ästhetik erhoben. Symbolischem Ausdruck sollte in sprechender Weise
Rechnung getragen werden. Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist Boullees sogenannter
„Newton-Kenotaph", der sich als ein begehbares kugelförmiges Gebäude darstellt, das aber angesichts
seiner gigantischen Ausmaße mit dem damaligen Baumaterial niemals hätte hergestellt
werden können.5 Isaak Newton (1643-1727) war der bedeutendste Naturwissenschaftler der Zeit.
Seine Gravitationsgesetze, mit denen er die Bewegung der Planeten begründete, machten ihn
berühmt. Auch Johann Wolfgang von Goethe setzte sich mit ihm im Rahmen seiner Farbtheorie
auseinander und ein Immanuel Kant suchte der Tragweite seiner Erkenntnisse philosophische
Folgerungen abzugewinnen. Boullee hatte gar ein Bildnis von ihm über seinem Schreibtisch
hängen, daneben ein weiteres von Kopernikus. Als Fingerzeig bildhafter Möglichkeiten - das
war ihm bewusst - musste sein erwähnter Entwurf dem Kosmos des Denkbaren vorbehalten
bleiben. Dennoch blieb es nicht aus, dass, angeregt durch ihn, auch andere Architekten in ihrer
Hochachtung für Newton das Thema der Kugel als vollkommene, mitunter als göttlich umschriebene
Form des Universums aufgriffen. Adaptiert wurde es von dem französischen Architekten
Antoine-Laurent-Thomas Vaudoyer für seinen 1785 in Rom entstandenen Entwurf eines
„Hauses für einen Kosmopoliten" (Abb. 4). Unverkennbar verweist die Idee dieser Architektur
auf das uns vertraute Motiv des Rinderle-Grabmals.6

Mit Revolutionsarchitektur dürfte auch Friedrich Weinbrenner (1766-1826) in Berührung
gekommen sein. Seine Bedeutung als Architekt kann wohl als bekannt vorausgesetzt werden,
ist er doch als Stadtplaner von Karlsruhe und Oberbaudirektor im Großherzogtum Baden eine
uns vertraute Persönlichkeit. Wenn nicht schon 1791/92 in Berlin, dann wird er spätestens im

Bekannt für seine Globen war Gerhard Mercator (1512-1594), einer der bedeutendsten Kartografen des 16.

Jahrhunderts. Ihm verdanken wir einen 1541 gefertigten Erdglobus sowie den berühmten Himmelsglobus
von 1551, der sich heute im Kultur- und Stadthistorischen Museum in Duisburg befindet. Auch dieser
Globus ist in ein Gestell eingehängt, das aus dorisch anmutenden Säulen besteht. Vgl. dazu Ruth Löffler
in: Wunderwerk. Göttliche Ordnung und vermessene Welt. Der Goldschmied und Kupferstecher Antonius
Eisenhoit und die Hofkunst um 1600, Ausstellungskatalog Paderborn 2003, Mainz 2003, S. 232f.

Die beste Grundlage für das Verständnis der Revolutionsarchitektur bietet der gleichnamige, unter der

Federführung von Günter Metken und Klaus Gallwitz herausgegebene Katalog der Baden-Badener Ausstellung
von 1970 (1971), Stuttgart-Bad Canstatt 1970. Speziell zum Newton-Kenotaph vgl. S. 34-41.

Vaudoyers Entwurf wurde bemerkenswerter Weise 1802 durch C. Normand in Form eines Kupferstiches

in einem Pariser Museumsjahrbuch veröffentlicht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war er überregional
bekannt. Dieselbe „Hausform" hat sich dann auch Jean-Jacques Lequeu, der neben Ledoux und Boullee
bekannteste Vertreter der Revolutionsarchitektur, für einen „Tempel der Gleichheit" zu eigen gemacht.
Vgl. Revolutionsarchitektur (wie Anm. 5), S. 248f. bzw. S. 224f.

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