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Hans Gottschalks zu folgen und nach England zu kommen. Im Rückblick auf das Jahr 1939
schrieb Jonas Cohn: Die ersten Monate des Jahres verbrachten wir noch in unserem Haus in
Günterstal — aber in sehr veränderten Umständen. Bei den Vorbereitungen zur Abreise waren
alle Beamten in Freiburg und Karlsruhe so freundlich und entgegenkommend, wie die harten
Gesetze es erlaubten. Und Cohn schrieb im Rückblick auf die Abreise am 28. März: Haus und
Garten, die wir gebaut, gepflanzt, gepflegt, durch Opfer in schweren Jahren uns erhalten, wurden
uns fremd. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich darauf freuen könnte, diese Treppen, diese
vertrauten Wege ein letztes Mal zu gehen — und doch war es so.55
Nach der Abreise am 28. März zählte Cohn die Freunde auf, die uns den Abschied durch
ihre Treue zugleich schwer und leicht machten, darunter Spemann, wahr und echt wie immer56,
Engelbert Krebs, Gertrud Luckner, die uns öfter abends besuchte — die gute, hilfreiche katholische
Quäkerin57, und die Familie Saemisch, die am Morgen der Abfahrt ins Exil vor der Tür
stand. Saemischs letzte Worte: Jetzt trauern wir, dass Sie abreisen, aber ich fürchte, wir werden
Sie noch beneiden.5*
Von 1939 bis 1947 lebte das Ehepaar Cohn in Bournville-Birmingham (England), wo Cohn
noch sein die „Wertwissenschaft" ergänzendes Buch mit dem Titel „Wirklichkeit als Aufgabe
" (1940) und eine Ethik mit dem Titel „Selbstüberschreitung" (1943) ohne Aussicht auf eine
Veröffentlichung verfasste und Vorträge hielt. 1940 erhielt Cohn die Nachricht, sein Bruder
Richard Leo Philipp sei in der Klinik Grafeneck verstorben. Was Cohn nicht wissen konnte: In
Grafeneck wurden kein Patienten behandelt, die „Klinik" diente ausschließlich der „Euthanasie
". Die in Deutschland gebliebene Ziehtochter Elli wurde in das nördlich der Pyrenäen gelegene
Konzentrationslager Gurs transportiert und überlebte im Versteck bei einer französischen
Familie. Die Bombardierung Freiburgs bezeichnete Cohn als einen kaum zu rechtfertigenden,
zwar begreiflichen, aber nicht zu verteidigenden Racheakt der Alliierten für Hitlers Befehl, Widerstand
bis zum Untergang zu leisten.59 Am Ende des Jahres 1945 erfuhr Cohn vom Tod Moritz
Saemischs und nennt den Freund einen entschiedenen Feind des Nazismus, der aber die ganze
dämonische Ruchlosigkeit [...] Hitlers — wie die meisten anderen, auch ich — zu spät erkannt und
mit Erschrecken wahrgenommen [hat], dass Hitler Krieg wollte und vorbereitete. Ein Jahr später
erhielt Cohn auch die Nachricht vom Tod Spemanns; er hatte gehofft, mit ihm noch einmal
zeitliche und ewige Fragen besprechen zu können.
Im Mai 1946 wandte sich Cohns einstiger Schüler Jürgen von Kempski an den Rektor der
Universität (Constantin von Dietze) mit der Frage, ob es angemessen wäre, Prof. Cohn dadurch
zu ehren, dass er von der Universität und anderen Stellen, die dabei mitzuwirken haben, zum
Ordinarius ernannt und als solcher in Anbetracht seines hohen Alters emeritiert wird. Ein halbes
Jahr darauf erhält von Kempski vom damaligen Dekan der Philosophischen Fakultät Robert
Heiß die Antwort: Ihre Darstellung der Sachlage entspricht wohl nach den Akten und vor allem
nach den Mitteilungen von Fakultätsmitgliedern [= Gerhard Ritter?] nicht ganz den Tatsachen.
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Cohn (wie Anm. 51), S. 65.
Spemann hatte auch dem wie Cohn zwangspensionierten Mathematiker Alfred Loewy seine Freundschaft
bewahrt, siehe Hugo Ott: Laubhüttenfest 1940. Warum Therese Loewy einsam sterben mußte,
Freiburg 1994.
Cohn (wie Anm. 51), S. 65ff.
Ebd.. S. 131.
59 Ebd.. S. 126.
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