http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2018/0177
Bald danach soll Hermann Riesterer jedoch ernsthafte Probleme mit den Nationalsozialisten
bekommen haben, wobei nicht mehr bekannt ist, ob das wegen seiner Homosexualität geschah
oder weil er aus Protest gegen das Regime dreimal eine Hakenkreuzfahne vom Hotel entfernt
haben soll.51 Ein Homosexueller galt unter den Nationalsozialisten als Staatsfeind; 1935 wurde
der einschlägige § 175 StGB erheblich verschärft.52 Legt man das Schicksal des etwa gleichaltrigen
Hans Winterhalter aus Hinterzarten zugrunde, so musste er befürchten, irgendwann einmal
wegen Unzucht zwischen Männern vor Gericht gestellt und inhaftiert zu werden.53 Daher
wäre es nur allzu verständlich gewesen, wenn sich Hermann Riesterer, nachdem er polizeilich
gesucht wurde, der Strafverfolgung durch Flucht entzogen hätte, was zwischen dem Juli 1937
und dem Kriegsausbruch 1939 passiert sein müsste. Er soll sich in Paris vergiftet haben und dort
am 2. Januar 1944 gestorben sein.54 Im Stammbaum heißt es allerdings zu seinem Tod: an einer
Vergiftung im Res. Lazarett Nordbahn in Paris.55 Tatsächlich handelt es sich bei diesem Lazarett
um das Kriegslazarett Nordbahnhof56 bzw. das direkt neben dem Gare du Nord gelegene Höpital
Lariboisiere, welches als eines von drei Pariser Krankenhäuser während der Besatzung von der
Wehrmacht konfisziert wurde.57 Weil Hermann Riesterer aber in einem Wehrmachtskrankenhaus
starb, dürfte er sich kaum als Flüchtling in Paris aufgehalten haben, sondern vielmehr als
Wehrmachtsangehöriger.58 Dazu passt auch der weitere Eintrag im Stammbaum: Beerdigt auf
dem Heldenfriedhof Ivory Paris59, denn nur als Zivilist - noch dazu als Flüchtling vor den Nationalsozialisten
- wäre er kaum auf einem Gefallenenfriedhof beerdigt worden. Somit dürfte sich
Hermann Riesterer ziemlich sicher als Wehrmachtsangehöriger in Paris aufgehalten haben und
dort gestorben sein. Ob der Vergiftung ein Unfall oder ein Suizid zugrunde lag, wird kaum noch
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Gespräch mit Katja Newman vom 01.05.2018.
William Schaefer: Schicksale männlicher Opfer des § 175 StGB in Südbaden 1933-1945, in: Schau-ins-
Land 128 (2009), S. 145-170, hier S. 145.
Winterhalter wurde im November 1939 vom Landgericht Freiburg zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt,
kam im Januar 1940 in ein Strafgefangenenlager, im November 1941 ins KZ Flössenburg und im Oktober
1942 ins KZ Sachsenhausen, wo er am 02.12.1942 verstarb. Die meisten Homosexuellen, die in Sachsenhausen
verstarben, wurden in Wahrheit ermordet; ebd., S. 165f.
Gespräch mit Katja Newman vom 01.05.2018; Auskunft von Klaus und Gabriele Trescher vom 22.05.2018.
GAH (wie Anm. 7), S. 10.
In seiner Zentralkarteikarte in der Deutschen Dienststelle (WASt), Berlin, R 1375/010, steht, dass er am
02.01.1944 infolge einer Vergiftung im Kriegslazarett Nordbahnhof in Paris verstorben ist; Auskunft von
Petra Derkow, WASt, vom 07.06.2018.
https://www.parisrevolutionnaire.com/spip.php7article2703 (07.06.2018).
Im Militärarchiv Freiburg gibt es keine Akten zu ihm. Gemäß Auskunft WASt vom 08.06.2018, wäre er
als Nichtwehrmachtsangehöriger - selbst als Deutscher - kaum in einem deutschen Kriegslazarett aufgenommen
worden, sodass sein Tod dort für seine Wehrmachtsangehörigkeit spricht. Auch in BZ (wie Anm.
31), heißt es, er sei im letzten Krieg gefallen. Ferner steht er auf der Liste der 1939 bis 1945 Gefallenen auf
dem Gefallenendenkmal des Friedhofs Hinterzarten; http://www.denkmalprojekt.org/dkm_deutschland/
hinterzarten_1870-71_wklu2_bw.htm (08.06.2018). So auch Mahler/Ruch (wie Anm. 14), S. 139, wobei
sie sich im Todesjahr, 1945 statt 1944, irrten.
GAH (wie Anm. 7), S. 10. Auf dem Friedhof Hinterzarten erinnert auf dem Grab seiner Eltern und Großeltern
eine Platte an ihn: Zum Gedenken Hermann Riester er 1908-1944. „Ivory" muss eigentlich „Ivry"
heißen, wo es zwei Friedhöfe gibt, den Cimetiere Parisien dTvry und den Cimetiere Communal dTvry.
Auf Ersterem findet sich kein Hinweis auf ihn; Auskunft von Benoit Gallot vom 11.06.2018, obschon
dort deutsche Wehrmachtsangehörige beerdigt worden sein sollen; https://www.carleton.edu/curricular/
FREN/classes/ivry/cimetiere/ivry-cimetieresl.html (08.06.2018). In Bezug auf Letzteren lagen bis zum
Abgabetermin leider keine Angaben vor.
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2018/0177