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Geschichte der Stadt Villingen-Schwenningen, Bd. II: Der Weg in die Moderne, hg. im Auftrag der
Stadt Villingen-Schwenningen von Casimir Bumiller, Selbstverlag, Villingen-Schwenningen 2017, 736
S., zahlr. Färb- und S/W-Abb.
Zu Villingen-Schwenningen als Produkt der Gebietsreform fällt einem der handfeste Gegensatz zwischen
der traditionsreichen badischen Stadt mit vorderösterreichischem Hintergrund und dem gewerbefleißigen
altwürttembergischen Dorf ein; dann scheinen die Namen Filbinger und Krause auf, die mit ihrer satten
Mehrheit im Stuttgarter Landtag auch unbeliebte Passagen des Landesentwicklungsplans durchsetzen
konnten. Heinrich Maulhardt, bis 2018 Stadtarchivar der Bindestrichstadt, betont in seinem Beitrag
zur Stadtgeschichte, die Stadtgründung von 1972 sei keine reine verwaltungstechnokratische Operation
gewesen, denn in beiden Gemeindeparlamenten und beim Bürgervotum gab es eine Mehrheit für die gemeinsame
Zukunft. Die Feinuntersuchung lässt erkennen, dass sich die Opposition mangels Information
erst spät organisieren konnte. Bei Erscheinen des vorliegenden Bandes war die Doppelstadt 45 Jahre alt.
38 davon hat Heinrich Maulhardt untersucht und seine Ergebnisse zu den Schwerpunkten Kommu-
nalpolitik, Kultur und Gesellschaft unter die Uberschrift „Strukturkrise und Behauptung" gestellt. Sein
Beitrag ist jedoch nur das Schlusskapitel einer auf zwei Bände angelegten Synchrondarstellung der Geschichte
beider Städte. Wie bei der Freiburger Stadtgeschichte wurde mit der Aufarbeitung der jüngeren
Vergangenheit begonnen, hier jedoch explizit auf Wunsch des Gemeinderats nach Diskussionen über den
Umgang mit dem „nationalsozialistischen Erbe".
Ein Team aus zehn Autoren übernahm 2014 die Aufgabe, die Geschichte beider Kommunen seit
1806 zu erforschen und allgemeinverständlich zu dokumentieren. Der Herausgeber Casimir Bumiller
stellt das Konzept und die Methoden vor; von ihm stammt das einleitende Kapitel über die Zeit um
1800 und auf über hundert Seiten die Geschichte der Stadt Villingen im Großherzogtum Baden bis
1871. Entsprechend hat Monika Spicker-Beck Schwenningen im Königreich Württemberg bearbeitet.
Drei Autorinnen lassen in Wort und Bild die Geschichte beider Städte während der Kaiserzeit lebendig
werden: Industrialisierung, Bildungs- und Vereinswesen, wobei in Villingen die Fastnacht nicht fehlen
darf, zuletzt Villingen als Garnisonstadt und Kriegsalltag. Kilian Fehr, der Bearbeiter der Weimarer
Zeit, nahm sich vor, die 14 Jahre währende Demokratie nicht nur von ihrem glücklosen Ende her zu
beurteilen, aber dennoch die Radikalisierung links und rechts und den Aufstieg der NSDAP genau zu
verfolgen. Er dokumentiert die industrielle und die bauliche Entwicklung, wobei er die Leistungen im
sozialen Wohnungsbau hervorhebt. Ein Splitter aus seinem Beitrag: Villingen hatte in den 1920er-Jahren
einen Flugplatz auf dem Exerzierplatz und Verträge mit zwei regionalen Luftverkehrsgesellschaften
. Fehr macht die verheerende Wirkung der Weltwirtschaftskrise deutlich, hält fest, dass keine der
beiden Städte eine NS-Hochburg war.
Auf Robert Neisen geht der Beitrag „Nationalsozialismus in Villingen und Schwenningen" zurück.
Es gelingt ihm, verständlich zu machen, wie schnell und umfassend die Partei alle Lebensbereiche zu
durchdringen vermochte und wie leicht es ihnen bürgerliche Kreise machten. Detailliert beschreibt er,
wie die Arbeitslosigkeit abgebaut wurde: Saba verdiente am Volksempfänger, Kienzle Apparate profitierte
von der Förderung der Motorisierung und in beiden Gemeinden wurde viel gebaut. Ganz unterschiedlich
verhielt es sich mit den Gemeindeoberhäuptern: Schwenningen behielt seinen 1930 gewählten Bürgermeister
Dr. Otto Gönnewein „wegen seiner fachlichen Tüchtigkeit und persönlichen Gediegenheit".
Im Villinger Rathaus zog ein verwaltungsunerfahrener Parteikarrierist ein. Im folgenden Kapitel wendet
sich der Autor den Opfern des Nationalsozialismus zu: erst den politisch Verfolgten, die gleich 1933
Gefahr liefen, in KZ-Haft genommen zu werden, nicht erst wenn sie im Untergrund Schriften verteilten
oder Fluchthilfe leisteten. Dann dokumentiert er den Leidensweg der 67 Personen zählenden Villinger
Judengemeinde. Einige Familien wanderten aus, nachdem sie Reichsfluchtsteuer bezahlt hatten. Elf Personen
wurden von der Massendeportation des badischen Gauleiters im Oktober 1940 erfasst und nach
Gurs verschleppt. Neisen geht auch auf den Umgang mit jüdischem Vermögen ein.
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