http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2018/0229
„bestehenden Berührungsängste der Freiburger Lokalgeschichtsschreibung mit Esoterik, Okkultismus,
Parapsychologie und Spiritismus" benannt, der somit neue Einblicke in die Stadtgeschichte ermögliche.
Im Folgenden sind die Ausführungen in drei Themenbereiche unterteilt: Heilender, populärer und
wissenschaftlicher Okkultismus. Im ersten Teil beschäftigen sich die Autoren mit diversen Heilmethoden
, die dem „Okkulten" zugerechnet werden können. Ein Überblick über die Laienheilkunde von 1901
bis 1945 berichtet von „Magnetopathen", „Naturheilkundigen" und „Heilpraktikern" anhand von Funden
in den Amtlichen Adress- und Einwohnerbüchern der Stadt Freiburg und entpuppt sich als erhellende,
spannende Zeitreise. Weitere Heilmethoden sind „elektrische und magnetische Heilstoffe", Behandlungen
mit Radium am „Elektro-therapeutischen Institut" und ähnliche aus heutiger Sicht unfassbare Vorgehensweisen
.
Im zweiten Teil wenden sich die Ausführungen der gewinnbringenden Seite des Okkulten zu. Bereits
im 12. Jahrhundert schützte der „Marktfrieden" nicht sesshafte Gaukler vor Ungemach. In den folgenden
Jahrhunderten präsentierten sich Wahrsager, Illusionisten und Zauberkünstler auf der Freiburger
Messe. Die Informationen über rechtliche Regulierungen und Verbote sind ein interessanter, Neugier
weckender Exkurs. Weiterhin gibt es noch über die „Indische Loge zur Wahrheit", die mit Werbeslogans
wie „Erledigung aller spiritistischen Angelegenheiten und Besorgungen" warb, zu berichten. Ein Foto
ihres Leiters Karl-Friedrich Eberle, der auch als „Hypnotiseur" tätig war, ziert übrigens mit gruseliger
Präsenz die Titelseite des Buches. Einer der aufschlussreichsten Beiträge behandelt das Thema Okkultismus
und Nationalsozialismus. Ein (ausgerechnet) in Hoyerswerda geborener Freiherr von Sebottendorff,
der im rechtsradikalen, völkischen und antisemitischen „Germanenorden" aktiv war, gründete 1918 die
„Thüle-Gesellschaft". Er befasste sich mit Okkultismus, Astrologie, Runenmagie etc.; aufgrund seiner
türkischen Staatsbürgerschaft und diverser Betrügereien war ihm die NSDAP verschlossen; es folgt eine
filmreife Biographie! Des Weiteren gibt es noch Berichte über „Energetik und Dämonie" und den Kinofilm
„In den Sternen steht es geschrieben": Okkultismus und/als Entertainment.
Im dritten und letzten Abschnitt erfährt der Leser etwas über Hellseher, „okkulte" Verlage und
„Anna Weismann (1871-1953) und die sprechenden Hunde". Anna Weismann versuchte offenbar, ihrem
Hund „Butzi" das „Buchstabieren" und damit das „Sprechen" beizubringen. Hierzu heißt es: „Mit diesem
außergewöhnlichen Betätigungsfeld war sie Teil einer größeren Gruppe von professionellen Forscherinnen
und Forschern" (S. 209). Sehr spannend zu lesen sind die beiden letzten Beiträge, deren Inhalt man
gern verfilmt sähe: Hellseher, die der Polizei bei Mordaufklärungen auf der Weißtannenhöhe zu helfen
versuchen (1928/29) und ein Bericht über den „Hellseher" Fred Marion, dessen „okkulte Fähigkeiten"
wohl legendär sind und 1931 von der Freiburger Ärzteschaft einem „Test" unterzogen wurden: interessanterweise
weder mit positivem noch mit negativem Ergebnis ...
Für Leser, denen dieses Thema völlig neu ist, wirkt die in diesem Band vorgetragene Fülle an angeblich
stattgefundenen paranormalen Phänomenen selbstverständlich etwas befremdlich. Zumal jeglicher
hieb- und stichfeste Beweis für die tatsächliche Existenz von übernatürlichen Vorkommnissen ausbleibt.
Und der Beweis ist keine schlechte Grundlage für eine wissenschaftliche Erkenntnis. Es wurde aber sehr
gute Arbeit geleistet: Unwissenschaftlichkeit können sich die Autoren wirklich nicht vorwerfen lassen
- die schier ausufernden Fußnoten sind dafür ein Beleg: Lässt man sie außer Acht, sind die 256 Seiten
schnell durchgelesen!
Ganz sicher lohnt sich auch für den „Kopfschüttler" ein Blick in diese außergewöhnliche, übernatürliche
Welt, denn nach der Lektüre dieses Buches wird klar: Hier nimmt sich eine Riege respektabler
Wissenschaftler einer Thematik an, die weiterhin spalten wird, aber in dieser Form zu einem ernsthaften
Dialog führen kann. Boris Kramb
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