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aus auf den See. Jeder durfte Verwandte oder Bekannte im Städtchen besuchen, stets jedoch
in Begleitung und somit unter Kontrolle eines zweiten Priesterschülers. Bei allen Ausgängen
waren Soutane und runde Hüte als Kleidung vorgeschrieben. Zu Ende der Seminarzeit wurden
die Alumnen in Rottenburg zu Priestern geweiht. Alexander konnte nur einen Teil der niederen
Weihen empfangen, wegen seines jugendlichen Alters blieb ihm die eigentliche Priesterweihe
noch verwehrt.
Im Oktober 1822 wurde Reichlin zum Studienprofessor am Freiburger Gymnasium ernannt.
Sein Gehalt betrug 400, ab dem darauf folgenden Jahr 500 Gulden. Er übernahm die unterste
Klasse, die 72 Schüler zählte. Da herrschte im Klassenzimmer drückende Enge, mühsam muss-
te sich der Lehrer durchdrängen ans Pult. Zum Abhören der Aufgaben versuchte er, zwischen
den Bänken hin und her zu gehen, um jeden Schüler erreichen zu können. Beim Korrigieren
musste er sich stets durch einen besonders hohen Stapel von Schulheften arbeiten. Obendrein
hatte zu Zeiten früherer Lehrkräfte eine gewisse Disziplinlosigkeit Platz gegriffen: Immer
wieder störten Schüler den Unterricht. Anfangs hat man einen Gymnasiasten aus der obersten
Klasse gerufen, der den Schuldigen Tatzenstreiche zu verabreichen hatte. Später wurde der
Hausmeister herbeigeholt, der mit dem Haselstock Schläge auf den Hintern verabreichte. Auf
diesen Helfer konnte Reichlin jedoch bald verzichten, denn es war ihm rasch gelungen, in seiner
Klasse Ordnung walten zu lassen. Für den Lehrer erfüllte sich nun der Wunsch, endlich die
heiligen Weihen empfangen zu dürfen. Nach Vollendung seines 22. Lebensjahres ordinierte ihn
Weihbischof von Keller in Rottenburg zum Priester. Zurück in Freiburg feierte er in der Kirche
St. Martin die Primiz. Seine Mutter, seine Schwester Anna, sein Bruder Joseph und mehrere
Freunde fanden sich dazu ein. Nunmehr ließ ihm die Fakultät durch den Prorektor von Rotteck
auch förmlich das Diplom eines „Dr. theol." überreichen. Reichlin war jetzt promovierter geistlicher
Gymnasialprofessor. Als er bald danach einmal bei einem Studiengenossen Ferien am
Bodensee machte, ergab sich unversehens die Verpflichtung, eine Beerdigung vorzunehmen.
Dem Jungpriester fehlte noch jede Erfahrung für solch eine Aufgabe. Nur dank der Hilfe des
örtlichen Schulmeisters, der eifrig soufflierte, bestand Reichlin die Zeremonie. Und auf seiner
Rückreise überschlug sich auch noch der schwere Reisewagen. Der Fahrgast konnte aber, abgesehen
von einer Kopfbeule, unverletzt herausklettern.8
Berufsziel: Hochschuldozent
Berufsziel Reichlins war das Amt des Hochschullehrers. Als nun an der Freiburger Universität
der Lehrstuhl für Kirchengeschichte vakant wurde, konnte Reichlin die Stelle eines vorläufigen
Vertreters erlangen. Im Wintersemester 1825/26 begann er die Vorlesungen in der Rechtsstellung
eines Privatdozenten, sein Gehalt betrug 600 Gulden. Gegen seine Berufung zum Professor
taten sich unerwartete Hindernisse auf. An der Universität und namentlich innerhalb
der theologischen Fakultät war es zu einer Spaltung gekommen. Die Ideen des freisinnigen
ehemaligen Generalvikars in Konstanz, Ignaz Heinrich von Wessenberg, hatten stark in das
Freiburger Universitätsleben hineingewirkt. Unter dem Einfluss der freisinnigen Professoren
Heinrich Amann, Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker hatte sich eine kirchlich-liberale
Gruppierung gebildet, die für eine deutsch-katholische Nationalkirche, für ein Messopfer in
deutscher Sprache, für eine Unabhängigkeit von Rom und für ein demokratischeres Kirchenre-
Reichlin-Meldegg (wie Anm. 6), S. 31, 43, 47, 53, 63 und 68.
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