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spräche seines ehemaligen Kollegen Dr. Schroetter im Auswärtigen Amt war es zu verdanken,
dass Kuenzer zu diesem Zeitpunkt noch einmal ungeschoren davon kam.19 Als auch die eigenen
Hausangestellten ihn bei der Gestapo anzeigten, machte sich Kuenzer in den Augen des Regimes
immer mehr verdächtig.20
Unerschrocken, fast leichtsinnig, so beschreibt ihn seine Tochter Monika, nahm er nie ein
Blatt vor den Mund. Seine Frau habe in ständiger Angst um ihn gelebt. Die Tochter erzählt, wie
er auf einer Zugreise während des Krieges im Abteil laut seine Kritik am Regime geäußert habe.
Dass ihnen dabei ein Uniformierter gegenübersaß, habe ihn nicht gestört.21 Auch tatkräftigen
Widerstand leistete Kuenzer. Unter großem persönlichem Einsatz gelang es ihm, vielen Juden
zu helfen, zunächst finanziell, später auch durch konkrete Aktionen wie dem Verstecken im
eigenen Haus.22
Spätestens seit der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre stand Kuenzer mit mehreren Widerstandskreisen
in Verbindung.23 Hierbei kam ihm zupass, dass er 1940/41 im Auftrag des Auswärtigen
Amtes mehrmals als Kurier ins Ausland entsandt wurde.24 Diese Gelegenheiten nutzte
er, um wichtige Kontakte herzustellen oder aufrechtzuerhalten, etwa zum ehemaligen Reichskanzler
und Regimegegner Joseph Wirth in dessen Schweizer Exil.25 Ziel solcher Treffen war
stets, den Boden für eventuelle Friedensgespräche mit einer neuen deutschen Regierung zu bereiten
.26
Kuenzer stand u.a. im Austausch mit dem Widerstandskreis um Carl Friedrich Goerde-
ler.27 Vor allem gehörte er aber dem Solf-Kreis an, der Widerstandsgruppe der traditionellen
Eliten um die Witwe des einstigen kaiserlichen Außenministers Wilhelm Solf,28 die in Berlin
Diplomaten, Künstler und Intellektuelle um sich versammelte.29 Ihre Tochter, Lagi Gräfin Bal-
lestrem-Solf, beschreibt diesen Oppositionskreis wie folgt: Her home [her mother's, Anm. d.
Autorin] became a sort ofpolitical oasis where our friends and other like-mindedpeople could
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Schellinger (wie Anm. 7), S. 431.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 14.12.1941 (im Privatbesitz der Familie). Vgl. allgemein
Gisela Diewald-Kerkmann: Politische Denunziation im NS-Regime oder Die kleine Macht der
Volksgenossen, Bonn 1995.
So Monika Popitz-Kuenzer in der Diskussion im Anschluss an den Vortrag vom 2. Mai 2005 in Freiburg
(vgl. Anm. 8).
Schellinger (wie Anm. 8). Der Vortragstitel stammt aus dem Nachruf über Richard Kuenzer von Johanna
Solf „Ein Sendbote der Güte. Ein Bildnis Richard Kuenzers", erschienen erstmals in der Neuen
Zeitung Berlin, November 1945, abgedruckt im Freiburger katholischen Kirchenblatt 34 (1954), S. 584.
Schellinger (wie Anm. 11), S. 166; Ders. (wie Anm. 7), S. 431.
Das Biographische Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes erwähnt insgesamt sechs Kurierreisen
für das Auswärtige Amt zwischen Oktober 1940 und März 1941 (also in der Zeit nach seiner Versetzung
in den einstweiligen Ruhestand).
Schellinger (wie Anm. 11), S. 166.
Hans-Adolf Jacobsen: Deutscher Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime - 1933-1945, in:
„Spiegelbild einer Verschwörung". Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944
in der SD-Berichterstattung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt, Bd.
1, hg. von Hans-Adolf Jacobsen, Stuttgart 1984, S. XXVIII.
Vgl. Max Miller: Eugen Bolz, Staatsmann und Bekenner, Stuttgart 1951, S. 486f. Kuenzer stand auch
mit dem württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz in persönlichem Kontakt; vgl. Schellinger
(wie Anm. 7), S. 431, Anm. 24.
Lagi Countess Ballestrem-Solf: Tea Party, in: We survived. The Stories of Fourteen of the Hidden and
the Haunted of Nazi Germany, hg. von Eric H. Boehm, New Häven 1949, S. 132-149, hier S. 133ff.
Ebd.
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