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den Augen der Nazi-Behörden hinreichend. Zum Verhängnis wurde ihm auch seine Bekanntschaft
mit dem katholischen Priester Dr. Max Josef Metzger, mit dem er im Hause Solf und im
Friedensbund der Katholiken zusammengetroffen war. Metzger kam während seiner Verhöre
auch auf Kuenzer zu sprechen, in der irrigen (oder leichtfertigen?) Meinung, dieser sei den Anklägern
bereits bekannt.38 Laut Anklageschrift hat Kuenzer Metzgers Pläne zum Umsturz der
Reichsregierung in ihrer Gesamtheit gebilligt, in den Augen der nationalsozialistischen Ankläger
ein weiteres Beispiel für das unheilvolle Treiben des Angeschuldigten. In den sogenannten
„Kaltenbrunner-Berichten", in denen die Einstellung verschiedener in das Attentat vom 20. Juli
verwickelter Personen zum Nationalsozialismus dokumentiert ist, wird Kuenzer mit den Worten
erwähnt, er habe mit einem gewissen Fanatismus einem christlichen Gemeinschaftsleben
das Wort geredet und das nationalsozialistische Regime als ein großes Hindernis zum Frieden
[Hervorhebung dort] betrachtet?9
Kuenzer kam zunächst in das „Hausgefängnis" der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße,
später nach Ravensbrück bei Fürstenberg in Mecklenburg. Der inzwischen fast 70-jährige Kuenzer
wurde dort mehrfach unter Folter verhört.40 Bemühungen, Haftentlassung unter Berufung
auf sein Alter zu erreichen, von denen er in einem Brief vom 26. August 1943 berichtet, blieben
ohne Erfolg. Sowohl die Schauspielerin und spätere Ordensschwester Isa Vermehren als auch
Lagi Ballestrem berichteten von den grausamen Züchtigungen, unter denen Kuenzer in Ravensbrück
zu leiden hatte.41
Die Briefe
Zweimal die Woche durfte er seiner Frau schreiben.42 Alle 14 Tage fuhr sie nach Fürstenberg, um
Wäsche und Lebensmittel zu bringen. Später, im Gefängnis „Lehrter Straße" in Moabit, in das
er im Oktober 1944 verlegt wurde, konnte er von seiner Gefängniszelle aus die Lautsprecheransage
am Lehrter Bahnhof hören. Zug nach Potsdam. Obwohl seine Frau ganz in der Nähe, in
Werder an der Havel lebt (wo sie einen kleinen Besitz haben), war sie für ihn doch unerreichbar.
Nähme er [= der Zug, Anm. d. Autorin] mich doch ein Mal mit, um mich mit Dir und Monkie, sei
Schellinger (wie Anm. 7), S. 432. Metzger, in der irrigen Annahme, dass Kuenzer zu diesem Zeitpunkt
bereits averhaftet worden sei, ging es laut Schellinger wohl darum, die eigene Distanz zum Solf-Kreis zu
demonstrieren.
Jacobsen (wie Anm. 26), S. 421 und 520. Diese Meldungen werden wegen der vom damaligen SD-Chef
Ernst Kaaltenbrunner unterzeichneten Begleitschreiben oft „Kaltenbrunner-Berichte" genannt, stammen
aber aus der Hand von Walter von Kielpinski; vgl. Ulrike Hett/Johannes Tuchel: Die Reaktionen des
NS-Staates auf den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944, in: Widerstand gegen den Nationalsozialismus,
hg. von Peter Steinbach und Johannes Tuchel, Berlin 1994, S. 377-389, hier S. 378.
Vgl. Johannes Tuchel: Die Sicherheitspolizeischule Drögen und der 20. Juli 1944 - zur Geschichte der
„Sonderkommission Lange", in: Fürstenberg-Drögen. Schichten eines verlassenen Ortes, hg. von Florian
von Buttlar, Stefan Endlich und Annette Leo, Berlin 1994, S. 120-143, bzw. Insa Eschebach: Ravensbrück
. Der Zellenbau, hg. von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Berlin 2008. Zur grausamen
Behandlung Kuenzers in dieser Zeit siehe auch Ballestrem-Solf (wie Anm. 28), S. 139f.
Isa Vermehren: Reise durch den letzten Akt. Ravensbrück, Buchenwald, Dachau. Eine Frau berichtet,
Reinbek bei Hamburg 1979, S. 32-42; Ballestrem-Solf (wie Anm. 28), S. 139.
Vgl. Helmuth James von Moltke: Briefe an Freya 1939-1945, München 2007, S. 597: „Er durfte mir
zweimal in der Woche schreiben; er erhielt laufend Briefe von mir", schreibt Freya von Moltke in ihrem
Bericht „Uber das Jahr im Gefängnis — 19. Januar 1944 bis 23. Januar 1945".
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