http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0096
Am liebsten sind mir die Tage, die einen Brief von Dir bringen; an 2. Stelle die Tage, da ich Dir
schreibe?1 Auch für Moltke waren die Briefe seiner Frau, erst recht ihre Besuche, Höhepunkte,
die Freudentage, die Hauptfreudentage'.48
Es ist mehr als nur ein Briefwechsel zwischen Kuenzer und seiner Frau, es ist eine Unterhaltung
, wie er es immer wieder nennt.49 Ein permanentes Zwiegespräch ohnehin: In Gedanken
unterhalte ich mich ja den ganzen Tag mit Dir.50 Um mit dem ihm eigenen Humor hinzuzufügen:
Zusammen mit Monika bist Du jetzt mein Einziges, und ich klammere mich an Dich. Du hättest
fürwahr ein besseres Los verdient als einen Gefährten, der sich auf solche brieflichen Ergüsse
beschränken mußl51
Kuenzers innere Haltung ist erstaunlich, vorbildlich. Keine einzige Klage, nur Anteilnahme
und Sorge an dem Erleben anderer kommen in seinen Briefen zum Ausdruck. Wenn er über sich
selbst spricht, heißt es immer nur, dass es ihm gut gehe, dass er gesund sei. Bis zum Schluss kein
Wort über die Schikanen, die er zu erleiden hat. Der einzige Kummer, den er erwähnt, ist sein
Heimweh nach Frau und Kind.
Gerda Kuenzer bestätigt in den Briefen an ihren Vater seine gefasste Haltung. R. war so
lebendig wie immer, es ist bewundernswürdig, wie er alles trägt. Im gleichen Schreiben ist hieß
es davor allerdings: Er sieht sehr mager und blass aus. Ihrem Vater gegenüber kann Gerda ihre
Sorge, die sie sich um ihren Mann macht, mitteilen. Und sie benennt in dem Brief an den Vater
das, was eine wesentliche Kraftquelle für ihn ist: Die Religion spielt da doch eine gewichtige
Rolle.52
Ungeachtet seiner eigenen Schwierigkeiten gilt seine erste Sorge seiner Frau. Stets erkundigt
er sich, ob sie auch genug esse. Er mahnt sie, nicht zu selbstlos zu sein, befürchtet, dass sie
an sich selbst spart, um ihn gut verpflegen zu können: Stammgericht ist nicht nahrhaft genug
für Dich.53 Die Verpflegung im Gefängnis ist offenbar so mangelhaft, dass selbst die einfachsten
Grundnahrungsmittel wie Brot dankbar angenommen werden. Später in Ravensbrück wird
es besser: Brot hier sehr gut.54 Auch sonst ist Ravensbrück eine Verbesserung (!). Fließendes
Wasser gibt es jetzt und WC in der Zelle, die auch größer ist als in der Prinz-Albrecht-Straße.
Sozusagen ein Gentleman-Gefängnis, wie er es nennt. Am 6. Oktober 1944 kommt er wieder
nach Berlin, in das Gefängnis in Moabit.
Die Sorge der Männer um ihre Familien wird vom Regime als Druckmittel benutzt.55 Unge-
wissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen bedeutet für die Männer eine erhebliche Belastung
, die das Regime bewusst einsetzt. Der Gedanke, was diese Zeit seiner Familie abverlangt,
belastet auch Kuenzer sehr. So schreibt er an seine Frau: Das Bewusstsein meiner Dankesschuld
gegen Dich überwältigt mich immer mehr. Nie hätte ich gedacht, dass ich in solchem
übermenschlichen Maße werde Ansprüche an Dich stellen müssen!56 Und ähnlich: Das ist mir
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 05.09.1943.
Vgl. Helmuth James von Moltke: Im Land der Gottlosen. Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944/45, hg.
von Günter Brakelmann, München 2009, S. 30.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 29.06.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 29.08.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 15.09.1944.
Brief von Gerda Kuenzer an ihren Vater, Graf Franz zu Inn- und Knyphausen, vom 28.12.1943.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 23.01.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 08.02.1944.
Jacobsen (wie Anm. 26), S. XIII; vgl. Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach: Geisterkinder. Fünf Geschwister
in Himmlers Sippenhaft, Holzgerlingen 2017, S. 133-147, hier S. 139f.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 03.07.1944.
96
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0096