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das Fatalste in meiner gegenwärtigen Situation: die Rückwirkung auf Dich und auf Monika.51
Noch am 10. August 1944 schreibt er von seiner Hoffnung, ihr in einer hoffentlich langjährigen
gemeinsamen Zukunft allmählich [s]eine tiefe Dankbarkeit bezeigen zu können. Es sollte sich
nicht erfüllen.

Immer wieder kommt Kuenzer auf die Strapazen zu sprechen, denen seine Frau auf ihren
ständigen Fahrten ausgesetzt ist. Die zunehmenden Luftangriffe verstärken seine Sorge um die
Familie, und so schlägt er ihr vor, ob sie nicht an einen sichereren Ort gehen könne, z.B. nach
Freiburg, das damals noch als sicher galt.58 Freiburg wird keinen Luftangriff bekommen, so
glaubte man. Drei Wochen vor dem britischen Luftangriff auf Freiburg, am 6. November 1944,
schreibt er an seine Schwester: Dankbar müssen wir sein, dass der liebe Breisgau bis jetzt eine
Oase bildet und hoffentlich bleibt. Obwohl er eigentlich lieber hätte, dass sie nicht in Berlin
bleibt, bedeutet ihm ihre Anwesenheit sehr viel. Es ist so lieb von Dir, allein hier auszuharren.59

Auch darin ähneln sich Kuenzer und Moltke, in ihrer Glaubensstärke in der Extrem Situation
. Beide bleiben im Glauben fest verankert. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigt etwa
ein Vergleich mit Aussagen Konrad Adenauers und seiner Frau Gussi. Ende August 1935 schrieb
Adenauer an seine Frau: Ich bin durch diese neue sinnlose, zwecklose Verfolgung [...] auf das
Tiefste verbittert. Ich bin auch religiös ganz verstört und aus dem Gleichgewicht gebracht. [...]
Wir wollen beide das Leid so wenden, dass es uns zum Segen wird. Auch für Adenauers Frau
Gussi handelt es sich um eine Glaubensanfechtung: Ich bin im Augenblick so voll Empörung
gegen das Leid, das über unsere Familie gekommen ist, dass ich ganz außer Fassung bin. Es
kam so furchtbar unerwartet, dass mich nichts zur Arbeit, Bewegung [...] bringt — nicht einmal
Gebet.60

Diese schwere Zeit der Prüfung hat auch ihr Gutes. Sie hat uns religiösen Gedanken näher
gebracht, kann Kuenzer festhalten.61 Und wie immer in einer extremen Notsituation wird man
mit Seelenwachstum beschenkt: Wirklich, wenn unser eheliches Einverständnis einer Vertiefung
und Läuterung bedurfte, wir erfahren sie jetzt, wenn auch unter Schmerzen.

Kuenzer sieht auch in der Gefangenschaft sein eigenes künftiges Schicksal in Gottes Hand.
In jedem Augenblick ist es seine Hoffnung, dass „der liebe Gott" die Familie wieder zusammenführt
und es einmal wieder ein Außenleben geben wird. Und doch blendet er nicht aus, dass es
anders kommen könnte. Er nennt seiner Frau die Namen all seiner Patenkinder, da man heutigen
Tages an alle Möglichkeiten denken soll.62 Auch über Grabstätte und Grabspruch macht er sich
Gedanken. Auf seinem Grabstein wünscht er sich eine Stelle aus Pascals Pensees, um deren korrekte
Übersetzung er bittet. In seiner Übersetzung lautet der Text: Tröste dich, du würdest mich
nicht suchen, wenn du mich nicht gefunden hättest. Er entschuldigt sich fast, dass er von diesen
Dingen spricht. Er relativiert diese Gedanken ihr gegenüber, indem er sie auf eine allgemeine
Ebene stellt: Hoffentlich ist Dir nicht zu gruselig, dass ich ein Mal von diesen Dingen rede, die
haben ja gerade in heutiger Zeit eine nur zu reale, ernst zu nehmende Bedeutung. Gleichwohl
bleibt er guten Mutes, und er bittet sie, am Tag des Stauffenberg-Attentats, dies ebenfalls zu tun:
Bitte bleibe guten Mutes, mir gelingt es auch.61.

57 Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 18.07.1943.

58 Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 26.06.1944. Der Wunsch, seine Familie in Freiburg
in Sicherheit zu wissen, wird auch in früheren Briefen ausgesprochen, so vom 01.09. und 05.09.1943.

59 Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 08.08.1943.

60 Zitiert nach Michael F. Feldkamp: „Betrachtender Beobachter", in: Die Tagespost vom 18.04.2017.

61 Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 03.12.1944.

62 Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 13.07.1944.

63 Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 20.07.1944.

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