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Voller Hoffnung zu bleiben, wenn alles hoffnungslos erscheint und sich nichts ändert, ist
nicht einfach. Man hofft immer, es sei die letzte Woche der Trennung. Aber einmal muß es ja
wirklich die letzte sein. Gerda Kuenzers Einschätzung ist hingegen zurückhaltender. Auch sie
gibt die Hoffnung nicht auf, glaubt aber nicht, dass in der nächsten Zeit eine Änderung eintreten
wird.64 Kuenzer hingegen schreibt am gleichen Tag aus dem Gefängnis den hoffnungsvollen
Satz: Mein Gerdi, ich habe das Gefühl, als wären wir am Endspurt, was die Trennung angeht.
Möge sich mein Gefühl bewahrheiten. Seine Rückkehr zu ihr, sie wäre sein größtes irdisches
Glück.65 Aber solange das nicht geschieht - Ein Brief von Dir ist immer ein Lichtstrahl.66 Weil
das Erhoffte nicht eintritt, greift Kuenzer zu dem Mittel, sich die Worte aufzuschreiben und
sich das Erhoffte immer wieder in verschiedener Form auszumalen und es dadurch, schreibend,
lebendig zu machen. So im Brief vom 26. November 1944: Der Tag, an dem wir drei wieder in
Freiheit vereint sein werden, wird der glücklichste Tag meines 70-jährigen Lebens. Gott sei mit
Dir. Er wird diesen Tag nicht mehr erleben.
In seiner Situation der Not und Ungewissheit kann er noch Glück empfinden. Zum Beispiel,
als er, mit weiteren Gaben, ein neues Foto von ihr erhält. So viel Glücksgefühl in einer kleinen
Menschenseele zusammengedrängt^.67 Da kein Außenleben da ist, wirken solche Erlebnisse so
viel stärker, sie beeinflussen geradezu jedes Mal den Schlaf der kommenden Nacht, heißt es einmal
bei Kuenzer. Um die Zeit auszufüllen, beschäftigt er sich mit Vergangenem, ruft sich Orte
und Erlebnisse ins Gedächtnis zurück. Auf seine Kindheit in Freiburg kommt er zu sprechen,
die „Atmosphäre" der Villen Risler und Kuenzer.68 Richard Kuenzer war sieben Jahre alt, als
1892/98 die „Villa Kuenzer" in der Dreikönigstraße erbaut wurde. Nicht weit davon entfernt,
in der Hildastraße, befindet sich die Villa Risler, die sich auf dem heutigen Schulgelände des
Kolping Kollegs befindet. Zwischen den Familien Kuenzer und Risler bestanden nicht nur geschäftliche
Verbindungen, sondern auch enge verwandtschaftliche Beziehungen. Richard Kuenzers
Großmutter Maria geb. Pyhrr war eine Schwester der Frau Jeremias Rislers, Mina Pyhrr.69
Auch das Freiburger Münster erinnert Kuenzer in seinen Briefen: Wie sehr sehne ich mich,
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das schöne Freiburger Münster wiederzusehen! Uber das Wentzingerhaus in Freiburg schreibt
er: Dass Mutters Geburtshaus unbeschädigt geblieben ist, freut mich besonders™ Neben den
Bildern seiner geliebten Frau und Tochter (Abb. 5) steht in seiner Kammer auch ein Bild des
Freiburger Münsters.
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Brief von Gerda Kuenzer an ihren Vater vom 20.02.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 18.06.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 12.01.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 06.07.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 13.04.1944.
Vgl. Wollasch (wie Anm. 5); vgl. auch Ulrich P. Ecker: Jeremias Risler und Henriette Feuerbach. Augenzeugen
der Revolutionsereignisse 1848/1849 in Freiburg, in: Schau-ins-Land 118 (1999), S. 195-202,
hier S. 197.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 16.02.1945.
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