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Frage des Zeitpunktes voneinander ab.16 Im gleichen Brief auch eine weitere kurze Andeutung:
Das Vorgehen gegen die Juden ist grauenvoll [er bezieht sich hier auf die Transporte in die Vernichtungslager
] ... man hat sie unterwegs alle erschossen.
Politische Bemerkungen finden sich bisweilen auch ohne direkten Bezug zur Gegenwart.
Allenfalls gibt es manchmal einen versteckten Hinweis: Politische Weisheit ist kein Spezial-Ta-
lent der Deutschen oder Ja, das Zeitalter des Großbürgertums wird jetzt zu Grabe geläutet,
heißt es am 16. Februar 1945.77
Und doch ist Kuenzer genauestens informiert, wie etwa über die zunehmenden Luftangriffe
, die er vorausgesehen hat. So schreibt er am 1. August 1943 seiner Frau: Etwas besorgt bin
ich wegen der Aussicht auf Luftangriffe, wenn ich nicht bei Euch bin. Diesen Herbst, vielleicht
recht bald, kommen sie unfehlbar, und zwar ernst.1* Auch die Rechtsanwaltsfrage ist ihm wichtig
.79 Am 2. Januar 1945 muss er seiner Frau mitteilen, dass er aus dem Beamtenverhältnis entlassen
worden ist und keine Pension mehr erhält.80 Seine Hoffnung bleibt, hiergegen in ruhigen
Zeiten vorgehen zu können. Den Schriftsatz hierfür hat er bereits entworfen. Aber das ist jetzt
zweitrangig: Darüber kommen wir hinweg, schreibt er.
Die Anklage
Im November 1944, gut vier Monate nach seiner Verhaftung, wurde Kuenzer vor dem Volksgerichtshof
angeklagt.81 Der zentrale Vorwurf der Anklageschrift lautet: Er und die Mitangeklagten
hätten in den Jahren 1941 bis 1943 in zahlreichen Unterhaltungen die zersetzende Idee
(!) verfochten, das Reich werde den Krieg verlieren. Weiter wird ihnen vorgeworfen, sie hätten
entsprechend ihrer reaktionär-staatsfeindlichen Einstellung den gewaltsamen Sturz der nationalsozialistischen
Staatsführung und ihre Ersetzung durch eine zum Abschluss eines Unterwerfungsfriedens
geneigte „Regierung" propagiert. Damit, so heißt es, seien sie zugleich zu
Knechten unserer Kriegsfeinde geworden. Gesinnung als strafrechtliches Unrecht.
In dem Johanna Solf betreffenden Teil der gemeinsamen Anklageschrift wird die führende
Rolle hervorgehoben, die Richard Kuenzer im Solf-Kreis zukam. Dabei geriet sie [Johanna
Solf] besonders unter den Einßuss des Angeschuldigten Dr. Kuenzer, der als gewissenloser
Hetzer und fanatischer Gegner des nationalsozialistischen Reichs mit mehreren Gleichgesinnten
*2 einen Kreis reaktionär eingestellter Personen bildete, die die Zusammenkünfte bei der
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 14.12.1941.
Briefe an Gerda vom 15.09.1932 und 16.02.1945.
In einem Brief vom 03.12.1944 erwähnt er den Luftangriff auf Freiburg: Hast Du gelesen, dass jetzt auch
Freiburg bösen Fliegerangriff gehabt hat?. Die Familie hat den Luftangriff unversehrt überstanden,
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 16.12.1944.
Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 31.07.1944.
Am 14.12.1944 erfolgt Kuenzers Entlassung aus dem Verhältnis eines Ruhestandsbeamten wegen Beteiligung
an den Vorgängen, die mit dem Attentat auf den Führer am 20. Juli 1944 in Zusammenhang stehen
(Zitat wohl Originalakte).
Anklageschrift vom 15.11.1944 (Haft, Nachtragsschrift und Nachtragsanklageschrift gegen die berufslose
Johanna Solf, ihre Tochter Lagi Ballestrem, Graf Albrecht von Bernstorff, Prof. Friedrich Erxleben,
den Schriftsteller und Historiker Dr. Maximilian von Hagen und Dr. Richard Kuenzer).
Welche Bedeutung dem Zusammensein mit Gleichgesinnten, der gegenseitigen Bestärkung zukam, beschreibt
Heinz Hürten: Verfolgung, Widerstand und Zeugnis, Mainz 1987, S. 73 (Verweigerung als Form
des Widerstands).
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