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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2019/0104
Wiederum an eine realistische Beurteilung des Geschehens knüpfen die im Folgenden aufgeführten
Vorwürfe der Anklage an, die sich auf Kuenzers Einschätzung der politischen und
militärischen Lage beziehen. So erfüllt aus der Sicht der Nationalsozialisten Kuenzers Einschätzung
, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei und deshalb mit den Westmächten Friedensverhandlungen
aufgenommen werden sollen, den Tatbestand des Hochverrats.

Dass die Ideen und Pläne Kuenzers und seiner Freunde keineswegs nur einem realistischen
Einlenken angesichts einer objektiv aussichtslosen Lage geschuldet waren, geht aus der Anklageschrift
eindeutig hervor. Der Widerstand äußerte sich bereits zu einem Zeitpunkt, an dem
Hitler den Krieg noch nicht begonnen hatte, zu einer Zeit, da das nationalsozialistische Regime
Erfolge verzeichnete.91 Im März 1939 marschierten deutsche Truppen in das Sudetenland ein.
Nach dem „Anschluss" Österreichs verstand es Hitler, seine territorialen Forderungen voranzubringen
und dabei gleichwohl den Anschein zu erwecken, keinen Krieg zu wollen. Unter
dem Vorwand der „Heimführung" deutscher Volksgruppen in Böhmen und Mähren verfolgte
er dabei jedoch seine strategischen Ziele weiter. Anders als so viele Zeitgenossen, die dies mit
Wohlwollen oder gar Genugtuung zur Kenntnis nahmen, sahen der Angeschuldigte und seine
Gesinnungsgenossen diesen Machtzuwachs Deutschlands als eine Gefahr für die Durchsetzung
ihrer gegen das NS-Regime gerichteten Pläne an und versuchten das drohende , Unheil' dadurch
abzuwehren, dass sie England zu veranlassen suchten, sich etwaigen weiteren Ansprüchen
Deutschland gegenüber völlig unnachgiebig zu zeigen, so die Deutung der Nazis, bei der
die Zusammenhänge auf den Kopf gestellt werden. Die Anklageschrift erwähnt hier die Englandreise
Kuenzers 1939, die allerdings ohne Erfolg blieb.92 Ich nutze die vielleicht letzte Chance
aus, hatte Kuenzer an seine Frau geschrieben.93

Während seiner Haftzeit verfasste Kuenzer einen Aufruf, den er nach dem Sturz der Reichsregierung
veröffentlichen wollte. In dieser Schrift bezeichnete er den „Führer" als einen Mann,
der jeder staatsmännischen Schulung ermangelt habe und der zwar das Zeug für den Propagandachef
einer nicht sehr wählerischen Firma mittleren Ranges gehabt haben möge, aber keinerlei
Vorbedingung für die Stellung als Generaldirektor einer, Weltfirma' erfüllt habe.

In der Begründung des bereits 1943 gegen Max Josef Metzger ergangenen Urteils werden
die Umsturzpläne mit der Bemerkung bewertet: Ein ganz ungeheuerlicher Gedanke, wie ihn
nur ein zutiefst defaitistischer Mensch überhaupt fassen kann.94 Ein schmachvoll verräterischer
Gedanke, wie ihn nur jemand haben kann, der unser nationalsozialistisches Deutschland zutiefst
hasst, weil er davon ausgeht und zum Ziel hat, an die Stelle unserer arteigenen Lebensform
, des Nationalsozialismus, längst überwundene volksfeindliche „Ideen ( zu maßgebenden
zu machen. Mit diesen Ideen ist gemeint: ein demokratisches Deutschland, also die Verwirklichung
schlimmster Wunschträume unserer Feinde.95

Vgl. Hoffmann (wie Anm. 36), S. 254.

Die Anklage sieht hierin eine Parallele zu dem Handeln des Widerstandskämpfers Carl Friedrich Goerde-
ler („der Verräter Goerdeler"), der zu diesem Zeitpunkt bereits verurteilt war und dem in dem gegen ihn
gerichteten Urteil vorgeworfen wird, die Westmächte kurz vor Kriegsbeginn gewarnt zu haben, dass der
Führer auf einen Krieg hin arbeite.

Brief von Richard Kuenzer an seine Frau Gerda vom 06.07.1939.

Der Begriff „Defaitismus" wurde in der Nazi-Terminologie permanent verwendet. So wurde etwa auf
den Solf-Kreis als auf „extrem defaitistische Kreise" Bezug genommen: Geheime Dokumente aus dem
Reichssicherheitshauptamt, Volksgerichtshofprozess gegen Moltke und seinen Kreis, Jacobsen (wie
Anm. 26), Bd. 2, S. 707.

Urteil gegen Dr. Max Josef Metzger vom 14.10.1943, AZ 3 J 190/43 g, Widerstand als Hochverrat (wie
Anm. 33), Fiche 0479.

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