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schreibt Bernward Dörner in seiner umfangreichen Untersuchung über das Heimtücke-Gesetz
.100
Der NS-Staat und seine Ideologie werden zum geschützten Rechtsgut erklärt. Die Verwendung
des Begriffs der „Heimtücke", eines eindeutig negativ besetzten Begriffs, dient dazu, eine
Meinungsäußerung zu kriminalisieren. Das Unwerturteil „heimtückisch" ist dabei natürlich
reine Fiktion.
Bereits mit der nur wenige Wochen nach der Machtübernahme erlassenen Verordnung,
welche eine gegen das „Wohl des Reichs" oder der Reichsregierung und vor allem der Partei
gerichtete Meinungsäußerung unter Strafe stellte, war die Meinungsfreiheit faktisch beseitigt
worden.101 Rechtsgrundlage dieser als Notverordnung des Reichspräsidenten erlassenen Verordnung
war Art. 48 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der diesen ermächtigte,
notwendige Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu
ergreifen.102 Der Schutz des Staates gegen „hoch- und landesverräterische Umtriebe und ähnlich
wichtige Aufgaben" wurde damit zum höchsten Ziel.
Zur Aburteilung angeblicher „Heimtückeäußerungen" wurden Sondergerichte geschaffen,
in welchen das rechtsstaatliche Verfahren gleichsam abgeschafft war - euphemistisch als „Vereinfachung
" und „Beschleunigung" des Verfahrens bezeichnet. Auch andere rechtsstaatliche
Garantien wurden beseitigt. Aufgrund einer erheblichen Verkürzung der Ladefrist für den Angeklagten
war eine effektive Verteidigung so gut wie ausgeschlossen. Besonders greifbar ist die
Einschränkung der Rechte des Angeklagten auch an dem sofortigen Eintritt der Rechtskraft.103
„Herrin" der Ermittlung wurde die Gestapo.104 Deren Willkür war es überlassen, zu bestimmen
, wer als Staatsfeind zu gelten hatte. Das Selbstverständnis der Geheimen Staatspolizei
findet sich in folgender Aussage eines ihrer führenden Beamten:
Der politische Totalitätsgrundsatz des Nationalsozialismus [...] duldet keine politische
Willensbildung in seinem Bereiche, die sich nicht der Gesamtwillensbildung einfügt
. Jeder Versuch, eine andere Auffassung durchzusetzen oder auch nur aufrechtzuerhalten
, wird als Krankheitserscheinung, die eine gesunde Einheit des unteilbaren
Volksorganismus bedroht, ohne Rücksicht auf das subjektive Wollen seiner Träger
ausgemerzt.105
Sozial-darwinistisches und völkisches Gedankengut war Grundlage des Handelns der politischen
Polizei. Das Heimtücke-Gesetz hatte somit alltägliche Äußerungen zu Straftaten erklärt.
Aufgrund der weitgefassten Formulierungen dieses Gesetzes konnte nahezu jede Äußerung er-
fasst werden, wenn in ihr auch nur ein Vorbehalt gegen die herrschenden Verhältnisse erkennbar
wurde. Die Kriminalisierung jeglichen nonkonformen Verhaltens verstärkte den Druck zur Anpassung
unter der Bevölkerung. „Vernünftigerweise suchte jeder, riskante Bemerkungen gegen-
100 Bernward Dörner: „Heimtücke": Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in
Deutschland 1933-1945, Paderborn 1998, S. 9.
101 § 3 der „Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung
der nationalen Erhebung" vom 21.03.1933, RGBl. I 1933, S. 135.
102 Art. 48 Abs. 2 WRV lautet: Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit
und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht
einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und
153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.
103 Dörner (wie Anm. 100), S. 35.
104 Ermächtigt durch das Gestapo-Gesetz vom 10.02.1936.
105 Werner Best: Die Geheime Staatspolizei, in: Deutsches Recht 6 (1936), S. 125-128, hier S. 126.
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