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Julius Bissier
Julius Bissier, von dem sich neben frühen, neusachlichen Werken zahlreiche Tuschen und Ei-
öltemperaarbeiten im Freiburger Museum für Neue Kunst befinden, wurde 1893 in Freiburg
geboren. Nach dem Abitur am Bertholdgymnasium begann er kurzzeitig mit einem Kunstgeschichtsstudium
an der Universität Freiburg, 1914 wechselte er an die Kunstakademie in Karlsruhe
. Doch schon wenige Monate nach Studienbeginn musste er jenes auf Grund seiner Einberufung
wieder abbrechen. Aus gesundheitlichen Gründen absolvierte er seinen Dienst bei der
Freiburger Postüberwachungsstelle - gemeinsam mit Martin Heidegger und dem schon erwähnten
Hans Adolf Bühler. Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Bissier in Freiburg und bildete sich autodidaktisch
weiter. Für sein künftiges Werk wichtig wurde die Freundschaft zu dem Sinologen
Ernst Grosse, der ihn mit der Kultur Ostasiens vertraut machte.14
Nur ein kurzes Durchgangsstadium markierte seine Phase der neuen Sachlichkeit bzw. eines
magischen Realismus, denn schon ab 1929 begann er sich mit einer abstrahierenden Formensprache
zu beschäftigen. Bissier verfügte über einen kleinen Lehrauftrag an der Freiburger
Universität und hatte dort auch ein Atelier. Dieses wurde 1934 bei einem Brand zusammen mit
dem größten Teil seines dort verwahrten Frühwerkes zerstört. Sein Atelier zu Hause war inzwischen
zur Textilwerkstatt seiner Frau umfunktioniert worden und so besaß er auch hier keinen
Arbeitsplatz mehr. Entmutigt und deprimiert soll er sich im Wohnzimmer eingerichtet haben.15
Der schrecklichste Schicksalsschlag ereignete sich ebenfalls 1934, als sein erst 6-jähriger Sohn
Ulrich verstarb.
Aus dem öffentlichen Leben zog sich Bissier vollkommen zurück. Er arbeitete im Verborgenen
, meistens nachts bei verdunkelten Fenstern entstanden kleinformatige, sparsam gestaltete
Tuschen. In diese Zeit fällt auch seine Freundschaft mit Oskar Schlemmer, mit dem er sich über
künstlerische Themen auseinandersetzen konnte. Trost fand der Künstler überdies in der Musik,
denn Bissier spielte ausgezeichnet Geige, Gambe und Cello. Eine gute Tarnung bot die Textilwerkstatt
seiner Frau Lisbeth, die sich stetig vergrößerte.
1939 übersiedelte das Paar in ein Bauernhaus nach Hagnau am Bodensee, wo aus der Werkstatt
eine kleine Fabrik wurde, die mehr als 15 Angestellte beschäftigte. Bissier malte und zeichnete
nach wie vor im Geheimen (Abb. 4). Doch da er seine Kunst niemandem zeigen konnte,
erhielt er natürlich auch keine Bestätigung. Es quälte ihn der Gedanke, dass all sein Schaffen
letztendlich vergeblich sein könnte. Hinzu kam, dass der unternehmerische Fleiß seiner Frau
durchaus gewürdigt wurde, er selbst jedoch von seinen Mitbürgern als „Nichtstuer" angesehen
wurde. Seine äußerliche „Untätigkeit" konnte er nur negativ durch seine tatsächlich existierenden
Krankheiten begründen.16
In einem Brief an Oskar Schlemmer schrieb er 1942: Die Tuschen halte ich für das einzig
Originelle, geistig eindeutige Zeugnis meines Malerlebens. Und 1943 schrieb er:
[...] in 3 Strichen, die einer mit dem Pinsel macht, muss schon alles darin stecken
[...]. Wenn in den 3 Strichen nicht alles steckt, so ist es auch in einem ganzen Gemäl-
de-Triptychon nicht — selbst dann nicht, wenn Tod und Teufelportraitähnlich einander
Grüß Gott sagen}1
14 Siehe hierzu und nachfolgend: Hans H. Hofstätter: Julius Bissier. Werke im Augustinermuseum Freiburg
i. Br., Freiburg 1981.
15 Ebd., S. 21.
16 Vgl. ebd., S. 6.
17 Zitate nach: ebd., S. 30.
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