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Die Spindlers wohnten nach einer Ubergangszeit in der „Ziegelhütte", einer ehemaligen
Ziegelei am Rande der Stadt. Mehrfach wurden Kontrollen und „Razzien" durchgeführt. Peter
Spindler wurde die Ausübung seines Berufes zusehends erschwert. Der Druck auf die Familie
nahm stetig zu. Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenleiter Friedrich Rupp versuchte wiederholt
, die Behörden zu einer Sterilisierung der Spindlers zu veranlassen.
1942 drängte er erneut auf die Wegnahme der Familie Spindler von Herbolzheim. Man solle
endlich vom Sterilisationsgesetz in weitestem Umfang Gebrauch machen, dies sei die einzige
Möglichkeit zur Klärung der Zigeunerfrage.4 Doch die zuständige Kriminalpolizeistelle Karlsruhe
sah keinen akuten Handlungsbedarf, da Vorbereitungen zur endgültigen Regelung der Zigeunerfrage
im Gang seien. Das war in der Tat der Fall. Am 16. Dezember 1942 befahl Heinrich
Himmler die Deportation der - wie es dann in den Ausführungsbestimmungen des Reichskriminalpolizeiamtes
vom 29. Januar 1943 hieß - Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht
deutschblütiger Angehöriger zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft. Ohne Rücksicht auf
den Mischlingsgrad seien sie familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz
einzuweisen. Obwohl „reinrassige" Vollzigeuner zunächst nicht deportiert werden sollten,
kümmerten sich die ausführenden Behörden häufig nicht um diese Unterscheidung. Am 24.
März 1943 war es auch für die Familie Spindler so weit. Die entsprechende Personenliste hatte
Bürgermeister Rupp zusammengestellt, sie lag der zuständigen Kriminalpolizei von Karlsruhe
vor. Peter Spindler und sein ältester Sohn Karl Reinhardt wären von der Deportation auszunehmen
gewesen, da sie als „Arier" galten. Sie entschieden sich jedoch dafür, bei ihrer Familie zu
bleiben, zumal ihnen versprochen wurde, sie würden im Osten ein Siedlergut erhalten. Stattdessen
kamen alle in das „Zigeunerlager" von Auschwitz-Birkenau. Johanna Spindler starb dort
bereits im Juli 1943 an schweren Kopfverletzungen, die sie erlitten hatte, ihr Mann Peter im
Monat darauf. Lediglich die Söhne Franz und Lorenz überlebten.
Friedrich Spindler war bei der Deportation nicht anwesend. Sein Schicksal nahm zunächst
einen anderen Verlauf. In der Volksschule soll er eine gute geistige Veranlagung gehabt haben
, wurde aber auch als widerspenstig und vorlaut beschrieben. Offenbar fehlte er häufig. Er
selbst führte dies auf mehrfache Erkrankungen zurück, während die Behörden von bewusstem
Schwänzen ausgingen. Möglicherweise war sein Verhalten „aber nur die Reaktion auf die täglichen
Diskriminierungen, die er als Sinti-Junge durch Lehrer und Mitschüler erleiden musste".5
Jedenfalls fielen die schulischen Ergebnisse letztlich unbefriedigend aus, und er wurde Ostern
1940 aus der 6. Klasse entlassen (Abb. 2). Danach besuchte er eine ländliche Berufsschule und
nahm anschließend verschiedene Hilfsarbeitertätigkeiten an.6
Zitate hier und im nächsten Satz bei Hämmerle (wie Anm. 2), S. 81. Einige Familienangehörige waren
im Übrigen von dieser unmenschlichen und für das Selbstverständnis von Sinti besonders peinigenden
Maßnahme betroffen. Auf Friedrich Spindlers Schwester Helene gehe ich noch ein. Zum im Folgenden
zitierten „Auschwitz-Erlass" Himmlers siehe Haumann, Akte (wie Anm. 2), S. 102.
Christoph Schwarz: Verfolgte Kinder und Jugendliche aus Baden-Württemberg 1933-1945, hg. von Erhard
Roy Wiehn, Konstanz 32013, S. 173-177, hier S. 173. Die Zitate zu Spindler aus der Anklageschrift
vom 16.06.1943, übernommen im Urteil vom 06.07.1943 (GLA, 507 Nr. 4720 Bl. 77 und 106); vgl. ähnliche
Formulierungen im Gutachten Dr. Ehrismanns (ebd., Bl. 51).
Leider verfügen wir über keine Selbstzeugnisse aus dieser Zeit, d.h. es liegen lediglich Behördenakten
vor: Staatsarchiv Freiburg (StAF), G 12/2 P. 3 Nr. 240; GLA, 507 Nr. 4720-4721, hier z.B. Nr. 4720 Bl. 77.
Friedrich Spindler sagte bei seiner Vernehmung am 06.02.1943 aus, er habe die Volksschule acht Jahre
mit Erfolg besucht und sei nie sitzengeblieben (ebd., Bl. 8).
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